Deliberation

von Jonathan M. Hoffmann

Politiker*innen orientieren sich an der nächsten Wahl, Wähler*innen wollen kurzfristige Vorteile, die Medien fokussieren sich auf aktuelle Ereignisse und Gefahren, während Unternehmen in Quartalslogiken operieren.[1] Diagnose: Unsere Demokratie ist kurzsichtig. Chancen und Gefahren, die in der Ferne liegen, wirken unscharf, werden unterschätzt oder ganz übersehen.

Angesichts von Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Digitalisierung sollten wir nicht nur nach guten politischen Lösungen, Regelungen und Gesetzen suchen, sondern den Blick auch auf das politische System selbst richten: Denn die Gegenwartsfixierung unserer Demokratie verstärkt die Herausforderungen – wenn sie sie nicht sogar mit verursacht.

An dieser Stelle möchte ich für zwei Vorschläge werben, die die Kurzsichtigkeit unserer Demokratie zwar nicht aufheben werden, die uns aber vielleicht eine Dioptrie näher an eine uneingeschränkte Sicht bringen. Die Rede ist von ‚Zukunftsmanifest‘ und Zukunftstag. [2]

Zukunftsmanifest

In Finnland ist die Regierung dazu verpflichtet, regelmäßige Reports zu einem Zukunftsthema, welches vom Premierminister gewählt wird, zu veröffentlichen. Diese Idee greifen wir auf und schlagen vor, dass jede Regierung zu Beginn Ihrer Amtszeit neben der Regierungserklärung auch ein Zukunftsmanifest veröffentlichen soll. Im Zukunftsmanifest soll dargelegt werden, in welcher Weise die Regierung mit den großen Zukunftsherausforderungen für kommende Generationen umgehen möchte und welche konkreten Maßnahmen sie hierzu ergreifen wird. Damit das Zukunftsmanifest nicht einfach zur Schönmalerei wird, sollte die Regierung dabei verpflichtet sein, auf die jährlichen Berichte und Zukunftsanalysen des wissenschaftlichen Beirats für globale Umweltfragen (WBGU) zu antworten.

Zukunftstag

Das Zukunftsmanifest sollte dann am jährlichen Zukunftstag öffentlich, z.B. im Bundestag diskutiert werden. Es ist wichtig, dass die Debatte um das Zukunftsmanifest vor aller Augen geführt wird, denn eine öffentliche Begründung von Zukunftspolitik würde auch bei Politker*innen für ein stärkeres Bewusstsein für die langfristigen Folgen von ihrer Politik schaffen Der Zukunftstag könnte aber auch über das Parlament hinaus zum Diskurs über unsere Vorstellung von Zukunft anregen.

Gerade das Zusammenspiel von Zukunftstag und Zukunftsmanifest könnte zu etwas mehr Weitsicht in Politik und Gesellschaft beitragen. Beide Maßnahmen würden die Kurzsichtigkeit unserer Demokratie mildern. Politiker*innen würden angehalten, langfristige Folgen ihrer Politik zu berücksichtigen und öffentlich zu rechtfertigen. Durch die öffentliche Debatte des Zukunftsmanifests am Zukunftstag könnte sich auch die Öffentlichkeit besser einbringen. Nicht zuletzt könnte so mehr Verständnis für Maßnahmen geschaffen werden, die zwar heute Kosten verursachen, dafür aber in Zukunft Früchte tragen werden.

Das sind natürlich nicht die einzigen Vorschläge die Kurzsichtigkeit unserer Demokratie anzugehen. Einige weitere (inklusive Zukunftsmanifest und Zukunftstag) haben Michael Rose und ich für die SRzG im Positionspapier ‚Sieben Bausteine für eine zukunftsgerechtere Demokratie‘ ausgearbeitet. In den vergangenen Wochen sind darüber hinaus einige weitere Empfehlungen für institutionelle Reformen formuliert worden. So schlägt Johannes Hilje in der Welt ein Zukunftsministerium vor und der Sachverständigen Rat für Umweltfragen (SRU), selbst ein Beratungsgremium der Bundesregierung, hat kürzlich einen umfassenden Bericht mit einigen Entwürfen für Zukunftsinstitutionen für Deutschland vorgelegt – unter anderem einen Zukunftsrat mit suspensivem Veto-Recht in Gesetzgebungsverfahren (unsere Pressemitteilung zum Bericht des SRU findet ihr hier).

 

[1] Teile dieses Textes basieren auf dem Beitrag ‚Eine Brille für unsere Demokratie‘, den ich gemeinsam mit Michael Rose geschrieben habe. Er wird in der Akkon Schriftenreihe ‚Mensch Zukunft!‘ der Akkon Hochschule, Berlin, erscheinen.

[2] Ähnliche Vorschläge finden sich bei Simon Caney (2016). Ein Manuskript findet sich hier.