Am 27.09.2024 fand die erste Lesung des Gesetzes statt, mit dem die Bundesregierung die Rentenformel in ihrer jetzigen Form abschaffen will. Der Nachhaltigkeitsfaktor, mit dem finanzielle Belastungen durch den demografischen Wandel auf die Beitragszahlenden und Rentenbeziehenden verteilt werden, soll seine Wirkung verlieren. Im Grund ist das nichts anderes als die Aufkündigung des Generationenvertrags in seiner bisherigen Form. Denn der Nachhaltigkeitsfaktor wurde eingeführt, um die demografischen Lasten für das Umlagesystem zwischen Ruheständler:innen und Beitragszahlenden zu teilen. Das Rentenpaket II sieht aber nur noch vor, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken darf – für den Beitragssatz gibt es keine Haltelinie mehr. Das heißt: Die Lasten würden zwischen den Generationen nicht mehr verteilt, wenn dieses Paket durchkäme. Der demografische Wandel würde fortan ungleichmäßig die jüngere Generation belasten, so auch eine Studie des ifo-Instituts. Wenn die Babyboomer – also diejenigen, die aus den geburtenstarken Jahrgängen stammen – in Rente gehen, dann sollen ihre Kinder hierfür mehr zur Kasse gebeten werden als die Babyboomer selber.

Es geht um sehr viel Geld, weil die Rentenversicherung rund 340 Milliarden € pro Jahr ausgibt. Das Rentenpaket II wäre das teuerste Sozialgesetz des Jahrhunderts zu Gunsten der alten Generation. Es würde nicht nur den Jüngeren schaden, sondern auch den wirtschaftlichen Aussichten im Land. Denn wenn die Sozialversicherungsbeiträge steigen, wird Arbeit für die Unternehmen automatisch teurer. Vor allem der lange Zeitraum der geplanten Beitragssatzstabilisierung, bis 2039, führt zu den immensen Kosten. Die implizite Verschuldung Deutschlands, die neben den ‚normalen‘ Schulden auch die für die Zukunft gemachten Zahlungsversprechen berücksichtigt, würde durch dieses Sozialprojekt von 87 auf 127 Prozent des BIP hochschnellen. Das Rentenpaket würde Weichenstellungen vornehmen, die weit über eine Legislaturperiode hinausreichen. Der Bundeshaushalt würde durch die langfristigen Mittelbindungen – so der Bundesrechnungshof – versteinert. Politik ist „Herrschaft auf Zeit“ – die aktuelle Parlamentsmehrheit scheint dies vergessen zu haben.

Was besonders anstößig ist: Minister und Abgeordnete wären von dem Rentenpakets 2024 gar nicht betroffen. SRzG-Botschafter Christoph Maier resümiert: „Politiker haben kein Interesse an einer gerechteren Rente, weil sie von der alten Wählermehrheit abhängig sind und sie zudem nicht selbst in die gesetzliche Rente einzahlen – auch das muss sich ändern.“ Die SRzG hat dafür eine eigene Webseite „Abgeordnete-rein-in-die-GRV“ mit regelmäßigen Updates eingerichtet und bei Change.org eine Petition gestartet, damit das aktuelle System der Abgeordnetenpension abgeschafft wird. Bitte unterzeichnen Sie, so wie schon rund 170.000 Menschen vor Ihnen, hier:
https://www.change.org/Abschaffung-der-Abgeordnetenpension

Die SRzG macht zudem mit ihrem neuen Positionspapier „Mit der Erwerbstätigenversicherung jetzt beginnen: mehr Solidarität und weniger Generationen-Ungerechtigkeit“ deutlich, dass der Einstieg in die Erwerbstätigenversicherung, wenn er zeitlich mit dem Babyboomer-Buckel zusammengelegt würde, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte. Die sukzessive Einführung einer Erwerbstätigenversicherung würde einen geringeren Anstieg der Beitragssätze und somit auch weniger Generationen-Ungerechtigkeit bedeuten. Gleichzeitig würde eine Erwerbstätigenversicherung mehr Solidarität und soziale Gerechtigkeit schaffen. Den ersten Schritt auf dem Weg zu diesem Doppelziel sieht die SRzG im Einbezug der Abgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung.

Es geht um viel: Im letzten Jahr der aktuellen Wahlperiode fällt die Entscheidung über die Höhe der Sozialversicherungskosten für ein zukünftiges Deutschland für mehrere Jahrzehnte. In der gestrigen Bundestagsdebatte sprach sich von den Ampelparteien allein die FDP für Nachverhandlungen im Bundestag aus. Es bleibt zu hoffen, dass sich genug Abgeordnete finden, die die Aufkündigung des Generationenvertrags noch verhindern. Davon, dass die Mitglieder des Bundestags künftig in die Rentenversicherung einbezahlen sollten, war allerdings auch von der FDP nichts zu hören, genausowenig von allen anderen Abgeordneten, außer von Frau Reichinnek (DIE LINKE), die darauf hinwies, dass in Schweden alle Erwerbstätigen ausnahmslos ab 16 Jahren in der staatlichen Rentenversicherung organisiert sind. Die Arbeitsminister Heil von der SPD, die LINKE und das BSW betonten, dass Altersarmut vermieden werden müsse. Dabei sind sich alle Expert:innen einig, dass die Gruppe der Niedrigrentner:innen nicht pauschal mit Geringverdiener:innen gleichgesetzt werden darf. Niedrigrentner:innen, also Menschen mit wenig Entgeltpunkten in der Rente, haben zum Beispiel auch keine geringere Lebenserwartung als Menschen mit hohen Renten, wie eine Studie der DRV zeigt.

Kurzum: Die Konfliktlinie beim Rentenpaket II verläuft nicht zwischen Arm und Reich, sondern zwischen den Babyboomern und ihren Kindern.

 

Zum Weiterlesen/zur Vertiefung:
Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (2024): Positionspapier „Mit der Erwerbstätigenversicherung jetzt beginnen: mehr Solidarität und weniger Generationen-Ungerechtigkeit“ https://generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2024/05/PP_Erwerbstaetigenversicherung-Mai-2024.pdf

Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (2020):
Positionspapier „Rente und Pensionen“ https://generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2020/12/SRzG-PP_Rente-und-Pensionen-Dez-2020.pdf

Deutscher Bundestag (2024a): Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zum Aufbau eines Generationenkapitals für die gesetzliche Rentenversicherung. Drucksache 20/11898. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/20/118/2011898.pdf

Deutscher Bundestag (2024): Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung. Drucksache 20/12611. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/20/126/2012611.pdf

Bundesrechnungshof (2023):  Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur finanziellen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung. Geplante Abschaffung der Rentenanpassungsformel in ihrer bisherigen Form. https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2023/entwicklung-rentenversichung-volltext.pdf?__blob=publicationFile&v=3

ifo Institut (2024): Wirkungen des Rentenpakets II: Ältere profitieren, Jüngere verlieren. ifo Dresden berichtet, 2024, 31, Nr. 04, 22-25. https://www.ifo.de/DocDL/ifoDD_24-04_22-25_Ragnitz_Rentenpaket_II.pdf

Deutsche Rentenversicherung (2019): Gibt es einen Zusammenhang von Entgeltpunkten und Lebenserwartung? Anmerkungen zur differentiellen Sterblichkeit (Autoren: Nicole Brumm, Matthias Römer). RVaktuell. 3/2019. https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Zeitschriften/RVaktuell/2019/Artikel/artikel_heft_03.html