Deutschlands Studenten sind zu unpolitisch, heißt es. Was sagt die Generation Merkel dazu? Martin Speer, 28, fürchtet: „Wir entmachten uns selbst.“ Ein Kommentar für SPIEGEL ONLINE

Seit 20 Jahren gab es keine so unpolitische Studentengeneration wie heute. Dafür zahlen wir Jungen einen hohen Preis, gesellschaftlich und persönlich.

In einer alternden Gesellschaft wie der Deutschen ist das fehlende Engagement doppelt problematisch: Denn wir Jungen werden weniger, schon heute ist mehr als die Hälfte der Wähler über 50 Jahre alt, diese Machtverschiebung verstärken wir durch Inaktivität und Desinteresse. Wir entmachten uns selbst.

Dabei sind wir mit Fragen konfrontiert, die unsere Ideen, Leidenschaft und unseren Einsatz brauchen: Wie begegnen wir dem demografischen Wandel? Wie der Digitalisierung? Wie realisieren wir den Wunsch nach einer nachhaltigeren Wirtschaft? Wie den nach mehr freier Zeit?

Wir werden die Auswirkungen am längsten und intensivsten spüren. Trotzdem sourcen wir Verantwortung für unser Leben aus und entschuldigen uns mit Bachelor und Master, dem Arbeitsmarkt, schlicht der Zeit, in der wir leben. So hoch ist der Druck, dass wir nicht anderes können, als uns auf uns selbst zu fokussieren. Und überhaupt, wir engagieren uns doch, nur eben anders: nicht mehr auf der Straße oder in Organisationen, sondern online.

Gesellschaft gestaltet sich nicht von selbst

Wir halten uns schon für politisch, wenn wir einen Aufruf gegen die Datenspeicherung bei Facebook liken, eine Internet-Petition unterzeichnen oder Videos über die Folgen der Massentierhaltung ansehen. Doch unser Handeln bleibt ohne Folgen. Politik, Gesellschaft und Ökonomie lassen sich nicht vom Smartphone aus gestalten. Veränderung erwächst nicht aus spontanem und kurz aufflammendem Interesse, sondern braucht Engagement und Ausdauer. Wir können die Spielregeln nur bestimmen, wenn wir mitspielen. In den Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Thinktanks, Unternehmen, Schulen und Universitäten. Und wenn es keine Organisationsform gibt, die uns gefällt, müssen wir eine begründen.

Doch das ist uns zu anstrengend. Wir sind Meister des Sich-Stetig-Beschwerens, aber Dilettanten im Gestalten: Wir jammern über familienunfreundliche Arbeitszeiten, kämpfen aber nicht für Alternativen. Wir klagen über veraltete Lehrpläne, schlagen aber keine neuen vor. Wir wundern uns, dass im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung niemand unter 40 Jahren sitzt, fordern aber keine Verjüngung.

Wir müssen, das ist die Aufgabe jeder Generation, unseren Platz erkämpfen; denn niemand wird uns unsere Macht schenken. Wir sind dafür jedoch zu beschäftigt, der Lebenslauf will optimiert werden und das digitale Ich verwaltet.

So möchte ich mit diesen Worten ein Zeichen setzten. Denn um sie zu schreiben, habe ich gerade zwei Vorlesungen geschwänzt. Damit wir, die Generation Privatleben, endlich verstehen, dass wir gerade das Wertvollste, das wir besitzen, aufs Spiel setzen: die Macht, unsere Zukunft zu gestalten.