von Jil Taige, Praktikantin der SRzG

Wohl jeder Mensch ist im Moment auf die ein oder andere Weise von den Auswirkungen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus betroffen. Auch viele Studierende sehen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Vor allem ein Gefühl begleitet uns auf Schritt und Tritt: Unsicherheit.

Ich befand mich mitten in meinem Praktikum bei der SRzG, als sich die Lage in Deutschland zuzuspitzen begann. Innerhalb weniger Tage überschlugen sich die Ereignisse – zumindest fühlte es sich so an – und ich entschloss mich, frühzeitig aus Stuttgart abzureisen. Das Praktikum konnte ich von meinem Studienort aus im Homeoffice weiterführen. Dieses Glück aber haben nicht alle Studierenden.

Alte Universität Marburg (Credits: Jil Taige)

Derzeit studiere ich an der Philipps-Universität Marburg Politikwissenschaften. Dort wurden aufgrund der Corona-Pandemie ab Mitte März alle Prüfungen verschoben. Wann genau diese nachgeholt werden, wissen wir nicht. Die letzte Information war, dass das im Laufe des Sommersemesters passieren soll. Auch die Fristen der Hausarbeiten wurden in das Sommersemester verlegt. Problematisch ist das natürlich insbesondere für diejenigen, die mit dem Sommersemester ihr Studium abschließen wollten, denn Prüfungen im nächsten Semester bedeuten, dass sich die Studierenden für ein weiteres Semester immatrikulieren müssen. Das heißt nicht nur erneut den Semesterbeitrag zu zahlen, sondern auch, dass beispielsweise der Übergang in einen Masterstudiengang erschwert wird. Zwar besteht an meiner Uni die Möglichkeit, bereits Kurse aus dem Masterstudiengang zu belegen oder sich an zwei Universitäten gleichzeitig für ein Studium zu immatrikulieren. Doch Letzteres bedeutet zunächst auch eine finanzielle Doppelbelastung, welche auf die Studierenden zukommt. An anderen Universitäten werden die verschobenen Prüfungen teilweise erst in den Sommersemesterferien nachgeholt. Dies wird sicherlich auch Praktika betreffen, welche die Studierenden in den Ferien machen wollen.

Gerade die finanzielle Belastung ist für viele extrem. In Marburg gibt es viele kleine Läden, Restaurants und Kneipen. In diesen arbeiten überwiegend Studierende, deren Jobs gerade alle wegfallen. Die Bedingungen für eine finanzielle Unterstützung wie Bafög sollen zwar gelockert werden, gelöst ist das Problem damit allerdings nicht. Auch in den Sommersemesterferien wollen viele Studierende die Zeit nutzen und den Sommer über arbeiten. Würde das Semester verlängert werden oder müssten Prüfungen nachgeholt werden, könnte dann der Arbeitsbeginn nicht eingehalten werden.

Eine besondere Herausforderung ist mit Sicherheit die Situation von Studierenden, die sich (zum Beispiel wegen eines Auslandssemesters) im Ausland befanden. Teilweise mussten sie innerhalb weniger Tage entscheiden, ob sie bleiben oder nach Deutschland zurückkehren sollten. Manche sitzen noch heute ungewollt in ihrem Gastland fest, andere entschlossen sich, in ihrer neuen Heimat zu bleiben.

Ähnlich geht es vielen internationalen Studierenden in Deutschland, die mit großer Unsicherheit der Zukunft entgegensehen. Aufenthaltsgenehmigungen sind an ihren Status als Studierende geknüpft. Verlängert sich ihre Studienzeit, hat das nicht nur hierauf Auswirkungen, darüber hinaus können auch ihre Stipendien wegfallen.

Auch für Studierende, die im vergangenen Semester ihr Studium abschließen konnten, wird es jetzt spannend. Die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus werden wohl dazu führen, dass weniger neue Mitarbeiter*innen eingestellt werden. Welche Unterstützung können Studierende bekommen? Rutschen sie direkt in die Arbeitslosigkeit? Und wie lange werden sie arbeitslos bleiben?

Die Unsicherheit trifft uns alle.

Universitätsbibliothek der Uni Marburg (Credits: Jil Taige)

Für mich steht jetzt das nächste Semester an. Wie dabei die Lehre aussehen wird, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Klar ist, dass so viel wie möglich online stattfinden soll. Ich bin gespannt, was das für den Chinesisch-Kurs bedeutet, den ich belegen möchte. Auch meine Bachelorarbeit wollte ich eigentlich diesen Sommer schreiben. Da die Bibliotheken aber weiterhin geschlossen bleiben müssen und es bisher neben der wenigen Online-Literatur keine wirklich brauchbaren Alternativen gibt, frage ich mich, wie das funktionieren soll. Gerade im Bereich der Gesellschaftswissenschaften, ist man sehr auf Literatur angewiesen. Zudem fällt auch ein Ort der Konzentration weg. Diejenigen, die Schwierigkeiten haben sich zu Hause zu konzentrieren, stehen vor einer großen Herausforderung. Und trotzdem haben wir Gesellschaftswissenschaftler*innen es noch einfach. Was passiert mit den Medizin-Studierenden, denen der Präpkurs (Präparationskurs) bevorsteht? Wie sollen sie über Online-Plattformen an Patient*innen üben und lernen? Oder andere Naturwissenschaftler*innen, die im Labor arbeiten sollen? Mit gefährlichen Stoffen zu Hause zu üben, kann wohl kaum ein ernsthafter Ersatz sein.

Einige Studierende entscheiden sich daher bewusst gegen das Sommersemester und legen stattdessen ein Urlaubssemester ein, beispielsweise um in Krankenhäusern ehrenamtlich zu helfen – ein sogenanntes „Corona-Semester“. Andere Bestrebungen sind ein „Nicht-Semester“. Also ein Semester, das nicht zählt, um allen eine Chance zu geben, mit der aktuellen Situation klarzukommen, die finanzielle Umstellung zu regeln und nicht gleichzeitig noch Pflichtveranstaltungen wahrnehmen zu müssen.

Doch was bedeutet die ganze Situation für zukünftige Semester?

Neben der ganzen Ungewissheit, kann das kommende Semester auch eine Chance sein. Zum ersten Mal sind wir auf digitales Angebot wirklich angewiesen. Bisher war es eine Ausnahme, wenn ein*e Professor*in die Vorlesung aufzeichnet, jetzt muss es zur Regel werden. Anstatt nach diesem Semester wieder in alte Muster zu verfallen, sollten Studierende und Lehrende die Situation nutzen und die neuen Möglichkeiten ausprobieren. Unsere Aufgabe als Studierende ist es dabei, den Professor*innen zu zeigen, dass wir trotzdem an ihren Vorlesungen und Seminaren teilnehmen. Der Irrglaube, dass niemand mehr erscheinen würde, sollte aufgehoben werden. Doch auch die Lehrenden müssen ihre Vorurteile gegenüber dem “neumodischen” Internet fallen lassen. Vielleicht können wir irgendwann aus Hamburg an einer Vorlesung in München teilnehmen und für diese dann auch Leistungspunkte anrechnen lassen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber das Coronavirus kann ein Schubs in die richtige Richtung sein.

Ich freue mich auf jeden Fall schon jetzt, wenn sich Marburg wieder mit Leben füllt. Die Lahnwiesen wieder voll sind mit Menschen, die gemeinsam Lachen, Grillen und das ein oder andere Getränk genießen ;). Bis dahin heißt es wohl – durchhalten!