Sophie Howe ist die erste walisische Kommissarin für zukünftige Generationen. Die SRzG hat sich mit ihr am 10. März 2022 in Stuttgart getroffen und die Erfolgsgeschichte der „Commission for Future Generations“ diskutiert. Sophie bot danach eine zukünftige Zusammenarbeit und einen weiteren (virtuellen) Austausch an. Anwesend bei dem Gespräch war auch ein Team des ZDF, welches das Gespräch filmte. Im Sommer 2022 wird das Gespräch als Episode der Serie „Plan B“ ausgestrahlt.

Der „Commissioner for Future Generations“ in Wales, eine der wenigen Institution für zukünftige Generationen weltweit, wurde 2015 mit dem Well-Being of Future Generations (Wales) Act geschaffen. Vorausgegangen waren jahrlange Bemühungen verschiedener Akteure, u.a. der NGO „Cynnal Cymru“ (Sustain Wales). Damit hat „Cynnal Cymru“ das erreicht, was die Stiftung Generationengerechtigkeit in Deutschland noch erreichen will. Laut dem SRzG-Positionspapier zur notwendigen Weiterentwicklung der Demokratie (deutsch) (englisch) soll auch in Deutschland u.a. durch einen Zukunftsrat institutionell sichergestellt werden, dass die Interessen kommender Generationen schon heute mitberücksichtigt werden.

Sophies siebenjährige Amtszeit (ohne Verlängerungsoption) begann 2016 und wird folglich 2023 zu Ende gehen. Während Institutionen wie der „Parliamentary Commissioner for Future Generations“ in Israel oder der „Ombudsman for Future Generations“ in Ungarn wenige Jahre nach ihrer Gründung wieder aufgelöst wurden, gilt als sicher, dass Wales seinen Weg weitergehen wird. Aber die Tatsache, dass der walisische Commissioner letztlich von der jeweiligen Parlamentsmehrheit eingesetzt werden wird, könnte dazu führen, dass Sophies Nachfolger:in ganz andere Schwerpunkte setzen wird als sie. Kontinuität ist jedoch gerade hier sehr wichtig. Ist Wales also die Ausgestaltung der walisischen Zukunftsinstitution ein Modell für andere Länder? Wie Zukunftsinstitutionen designt sein sollten, wird in Politikwissenschaft, Rechtslehre und Philosophie heiß diskutiert. Dabei geht es z.B. um folgende Fragen.

  1. Welche gesetzlichen Kompetenzen sollte die Zukunftsinstitution haben? Sollte sie die Regierung (oder alternativ: das Parlament) „nur“ beraten können, oder sollte sie auch Gesetze vorschlagen – oder gar Gesetze suspendieren – können?
  2. Sollte sich der Kompetenzbereich der Zukunftsinstitution nur auf bestimmte Politikfelder beschränken. Und wenn ja, welche?
  3. Sollte ein einzelnes Individuum der Zukunftsinstitutionen vorstehen, oder besser ein Kollektiv? Wie lang sollte die Amtszeit der Mitglieder der neuen Institution sein?
  4. Wie hoch sollte die Ressourcenausstattung der Zukunftsinstitution sein?

 

Gerade ist bei Cambridge University Press ein 800-seitiger Sammelband zu Zukunftsinstitutionen erschienen. Neben der Frage, wie Generationengerechtigkeit als Querschnittsprinzip in Verfassungen und internationalem Recht verankert werden kann, gibt es auch einen Abschnitt zu National Case Studies, in denen die Zukunftsinstitutionen in Israel, Norwegen, Deutschland, Finnland, Neuseeland, Kanada, Kolumbien, Kongo und eben Wales unter die Lupe genommen und verglichen werden. In seinem Kapitel (im Abschnitt Future Trends) plädiert SRzG-Vorstand Jörg Tremmel für nichts Geringeres als einen Paradigmenwechsel. Der Dreh- und Angelpunkt des neuen Paradigmas sollte sein, dass die uralte Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative heutzutage (in der neuen erdgeschichtlichen Epoche des „Anthropozän“) nicht mehr ausreicht. Der heutige Demos des 21. Jahrhunderts kann die Lebensbedingungen zukünftiger Menschen viel stärker beeinflussen als in früheren Zeiten. Deshalb brauchen wir heute Checks and Balances gegen die Tyrannei der Gegenwart über die Zukunft – in Form einer „Vierten Staatsgewalt“. Die Legislative verabschiedet die Gesetze, die Exekutive setzt sie um, und die Judikative kontrolliert ihre Einhaltung. Wo passt die Zukunftsinstanz hier hinein? Es sollte nicht vergessen werden, dass das bisherige „Drei-Gewalten-Modell“ derzeit von Land zu Land unterschiedlich ist, was auf unterschiedliche Traditionen des politischen Denkens zurückzuführen ist. Im Hinblick auf Zukunftsinstitutionen kann es keine Einheitslösung geben; vielmehr erscheint es sinnvoll, ein solches Vertretungsorgan für jedes Land anders zu konzipieren (ein konkreter Vorschlag für Deutschland hier). „Vierte Staatsgewalt“ beziehungsweise das Synonym „Zukunftsinstanz“ sind daher Oberbegriffe, die kein bestimmtes Modell bezeichnen. Stattdessen beziehen sie sich auf alle Institutionen für zukünftige Generationen, die stark genug sind, die Bedürfnisse und Interessen zukünftiger Staatsbürger:innen eines bestimmten Staates, der eine Zukunftsinstitution eingeführt hat, glaubwürdig zu vertreten.

Heute durfte die SRzG eine davon – den „Welsh Commissioner for Future Generations“ sehr detailliert kennenlernen. Der fruchtbare Austausch mit Sophie Howe soll schon im April 2022 fortgesetzt werden.