Generationengerechtigkeit als Querschnittsaufgabe und als Gegenstand des politischen Streits: das sind zwei wesentliche Themen in einem neuen Buch zu Generationengerechtigkeit. Die SRzG bat den Autor um eine Buchvorstellung.

Gastbeitrag von Johannes Müller-Salo. Der Klimaprotest junger Menschen hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass die größte politische Herausforderung unserer Zeit endlich auch in dem, was wir gerne „politisches Tagesgeschäft“ nennen, umfassende Beachtung findet. Mit dem absehbaren Ende der Pandemie als Gesundheitskrise globalen Ausmaßes rückt die Klimapolitik erneut in den Mittelpunkt der politischen Debatte. Dabei wird, wer an Generationengerechtigkeit ernsthaft interessiert ist, eine ehrgeizige Klimapolitik nur begrüßen können. Schließlich kann von Gerechtigkeit zwischen Älteren, Jüngeren und Ungeborenen so lange keine Rede sein, wie es nicht gelingt, die globalen Klimaveränderungen in erträglichen Grenzen zu halten.

Die schiere Größe der klimapolitischen Herausforderungen führt jedoch allzu schnell zu einer gefährlichen Verengung der öffentlichen Debatte um Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Schließlich steht es um die Verhältnisse zwischen Älteren und Jüngeren nicht nur in klimapolitischer Hinsicht schlecht. Die Probleme häufen sich, von der Rente über die Staatsfinanzen bis hin zum Wohnungsbau, von der Bildungs- über die Migrations- bis hin zur Verfassungspolitik. Mehr noch, die Gerechtigkeitsprobleme in all den genannten und weiteren Politikfeldern sind miteinander auf vielfältige Arten und Weisen verbunden.

In meinem Buch „Offene Rechnungen. Der kalte Konflikt der Generationen“, welches Mitte März 2022 im Reclam Verlag erscheint, geht es mir darum, solche Verbindungslinien zwischen verschiedenen Politikbereichen sichtbar zu machen und das Herstellen von Generationengerechtigkeit als politische Querschnittsaufgabe zu beschreiben, die in allen Politikfeldern bearbeitet werden muss.

Um beim Beispiel des Klimaschutzes zu bleiben: Es steht außer Frage, dass der Staat in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Hunderte von Milliarden wird aufbringen müssen, wenn die große Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft gelingen soll. Ein erheblicher Teil der Summe wird über neue Schulden und damit vor allem von den Jüngeren finanziert werden. Der gewaltige Finanzbedarf des Staates engt zugleich die Spielräume für Entlastungen der Einzelnen ein. Auf Entlastungen sind aber gerade die Jüngeren angewiesen, da sie deutlich stärker als die Älteren für ihr Leben im Ruhestand privat vorsorgen müssen. Ein wichtiger Eckstein einer solchen Vorsorge ist eine eigene Wohnung. Diese ist für immer mehr Jüngere unbezahlbar. Die staatliche Baupolitik wird sich in den kommenden Jahren auf die Modernisierung bestehender Immobilien konzentrieren müssen, um die Klimaprobleme des Gebäudesektors in den Griff bekommen. Es profitiert, wer bereits eine Immobilie besitzt, also vor allem die Älteren. So geht es fort, so hängt alles mit allem zusammen.

Angesichts der Größe der anstehenden Herausforderungen brauchen wir eine offene, auch harte gesellschaftliche Debatte, in der nicht vorschnell versucht wird, Konflikte durch Appelle an intergenerationelle Solidarität zu überspielen. Die Warnung vor dem Herbeireden eines Generationenkonflikts führt in die Irre. Denn der Konflikt existiert längst. Dies zeigt sich nicht zuletzt im sprachlichen Framing von Diskussionen. In der Klimapolitik etwa wird gern an das Mitgefühl der Älteren gegenüber den Enkeln appelliert. Es sei an der Zeit, den kommenden Generationen etwas Gutes zu tun. So erscheinen sprachlich barmherzige Samariter, wo von Schuldnern die Rede sein müsste: Schließlich hat effektiver Klimaschutz nichts mit Großzügigkeit zu tun, sondern entspringt der elementaren moralischen Pflicht, andere durch eigenes Handeln nicht zu schädigen.

Am Ende wird es auch um Fragen materieller Umverteilung zwischen den Generationen gehen müssen. Wir brauchen einen neuen Lastenausgleich zwischen den Generationen, nach dem Vorbild der umfassenden Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Gründungsjahren der Bundesrepublik. Durch eine Fülle von Einzelmaßnahmen in unterschiedlichsten Politikfeldern müssen die Jüngeren entlastet und die Älteren in die Pflicht genommen werden, ihren fairen Beitrag zum Zusammenleben der Generationen zu leisten.

Ein harmonisches Miteinander der Generationen ist nicht der Ausgangspunkt generationengerechter Politik, sondern ihr Ziel. Erreicht wird es nur dort, wo Konflikte offen ausgefochten und Kontroversen ausgehalten werden, um Lösungen zu finden und das Verhältnis zwischen den Generationen auf neue, gerechtere Grundlagen zu stellen. In diesem Sinne braucht es aktuell keinen Schulterschluss der Generationen. Es braucht das breite Bewusstsein dafür, dass ein gesellschaftlicher Großkonflikt existiert, der vorwiegend alte Gewinner und vorwiegend junge Verlierer produziert. Dazu gehört auch der aufrichtig geführte und zugleich zielorientierte politische Streit.

Müller-Salo, Johannes (2022): Offene Rechnungen: Der kalte Konflikt der Generationen. Ditzingen: Reclam, Philipp. 160 Seiten. ISBN 978-3-15-011400-1. Preis: 14€.