Blogbeitrag Endlagersuche

Von Sofia Lüßmann und Milena Weber, SRzG-Praktikantinnen und Jörg Tremmel.
Nach den Ereignissen von Fukushima 2011 vollzog die Regierung Merkel eine Kehrtwende und beschloss den Ausstieg aus der Atomenergie bis Ende 2022. Hierdurch ist aber für die zukünftigen Generationen noch lange nicht alles geklärt. Es muss ein unterirdisches Endlager gefunden werden, welches für einen extrem langen Zeitraum sicher ist. Die zukünftigen Generationen müssen die Möglichkeit haben, den Atommüll umzulagern, falls etwas Unvorhergesehenes passiert. Ihnen darf allerdings auch nicht die Pflicht auferlegt werden, den Müll umlagern zu müssen, nur weil wir, die heutigen Generationen, ein schlechtes Endlager auswählen. Im deutschen Standortauswahlgesetz wird die Zeitspanne, für die der Atomabfall verwahrt werden muss, mit 1 Million Jahre angegeben.

Wie viele zukünftige Generationen sind also betroffen?

Das kommt darauf an, wie man den Begriff „Generation“ definiert.
Erstens werden unter „Generationen“ Altersgruppen verstanden. Indem man z. B. von der jungen, mittleren und älteren Generation spricht, also von den 0-30-jährigen, den 31-60-jährigen und den Über-60-jährigen. Nach dieser Definition wechseln Generationen also alle 30 Jahre. Folglich wären 33.333 künftige Generationen von der „Endlagerproblematik“ betroffen.
Zweitens wird das Wort „Generation“ verwandt, um die Gesamtheit der heute lebenden Menschen zu bezeichnen. In diesem Sinn lebt jeweils nur eine Generation zur gleichen Zeit. Unterstellt man, dass die heutige Lebenserwartung von 80 Jahren konstant bleibt, so wechseln Generationen alle 80 Jahre. Es wären also von der „Endlagerproblematik“ rund 12.500 künftige Generationen betroffen.

Eine unglaublich folgenreiche Entscheidung!

So oder so ist das ein unvorstellbar langer Zeitraum. Den heute Lebenden steht eine riesige Zahl von Menschen gegenüber, die nach ihnen leben werden. Für Roman Krznaric, den Autor des Buches „The Good Ancestor“ stehen die Interessen der heute Lebenden – rund 8 Milliarden Menschen – den Interessen aller künftiger Lebenden – allein in den nächsten 50.000 Jahren rund 6.750 Milliarden Menschen – gegenüber.

Eine unglaublich folgenreiche Entscheidung

Mit diesen Zahlen werden die Konsequenzen deutlich, die eine Festlegung auf ein Endlager mit sich bringt. Diese Entscheidung soll nicht stets neu getroffen werden, sondern einmal „für alle Zeit“ gelten. Eine Anforderung an das Endlager ist, dass eine Rückholbarkeit der Abfälle für die Dauer der Betriebsphase von einer Bergung für 500 Jahre nach dem geplanten Verschluss des Endlagers möglich sein soll. Doch beliebig reversibel ist die Endlagerentscheidung nicht. Voraussichtlich trifft eine einzige Generation eine Entscheidung, die für sehr viele kommende Generationen verbindlich ist. Hier müssen unbedingt alle Altersgruppen innerhalb der heutigen Generation ihren Input liefern können. Außerdem ist die Jugendbeteiligung bei der Endlagerfrage geboten, weil bei einer so unglaublich folgenreichen Entscheidung möglichst viele Perspektiven einbezogen werden sollten. Jugend- und Nachwuchsquoten im politischen und im vorpolitischen Raum haben grundsätzliche Vorteile:

– Die Gegenwartsorientierung wird abgemildert, die Zukunftsorientierung gestärkt.
– Frische Ideen und Lösungsansätze werden einbezogen.
– Interesse und Beteiligungsbereitschaft wird gesteigert.
– Die Akzeptanz von späteren Entscheidungen wird verbessert.

Es ist zurecht der Abschnitt „Diversität“, in dem in der Geschäftsordnung des „Forums Endlagersuche“ die Beteiligung der Unterdreißigjährigen festgeschrieben wird. Hinzu kommt, dass die Jugend unvoreingenommener ist und daher einem wissenschaftsbasierten Verfahren aufgeschlossener sein dürfte, zumindest im Vergleich zu etablierten Landes- und Kommunalpolitiker:innen. Während Letztere in den Abschnitten der trichterförmig angelegten Standortsuche versucht sein könnten, Politik nach dem NIMBY-Prinzip zu machen, ist die Jugend mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eher von solchen Zwängen befreit. Bindet man junge Menschen frühzeitig in solche Entscheidungsprozesse ein, können sie in Zukunft gegebenenfalls eine Schlüsselpositionen in der Gesellschaft einnehmen und kompetent als Multiplikator:innen agieren zu können.

Die drei Phasen der Endlagersuche

30.000 Kubikmeter von hoch radioaktivem Abfall wurden seit der Errichtung des ersten Atomkraftwerks in Deutschland vor nur 60 Jahren erzeugt (Berlin Institut für Partizipation, 2018). Diese riesige Menge, so viel wie 36 Einfamilienhäuser (Nationales Begleitgremium, 2020a), muss so schnell wie möglich und so lange wie möglich sicher vor gefährlicher Strahlung und tief unter der Erdoberfläche gelagert werden. Wie genau dies funktionieren soll ist seit 2013 im Standortauswahlgesetz (kurz: StandAG) festgehalten (Nationales Begleitgremium, 2020b). Laut diesem Gesetz wird es drei Phasen der Standortsuche für ein Atommüll-Endlager geben, in denen die Fläche der Bundesrepublik Deutschlands nach und nach durch nicht in Frage kommende Standorte reduziert wird, bis am Ende in der bestgeeigneten Region das Endlager für Atommüll gebaut wird.

Momentan befinden wir uns noch in der ersten Phase. In dieser Phase werden bereits bestehende geologische Daten zu den Regionen gesammelt und anhand von bestimmten Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen bewertet, wie zum Beispiel die Erdbebengefahr oder die Tiefe und Beschaffenheit des unterirdischen Gesteins (Nationales Begleitgremium, 2020b). Außerdem werden erste Sicherheitsuntersuchungen in einigen Regionen unternommen (Nationales Begleitgremium, 2020b).

Alle Regionen, die nach der ersten Phase geeignet scheinen, werden dann in der zweiten Phase übertägig erkundet. Es werden kleinere Bohrungen und oberflächliche Messungen unternommen. Zusätzlich werden Expert:innen die soziale und ökonomische Situation vor Ort untersuchen, um vorherzusagen, wie sich der Bau eines Endlagers auf die jeweiligen Regionen auswirken könnte. So kann weiter „aussortiert“ werden (Nationales Begleitgremium, 2020b).

Der endgültige Vorschlag für eine passende Region kommt am Ende der dritten Phase, nachdem tiefere untertägige Erkundungen durchgeführt wurden. Die Entscheidung für einen Standort für die Endlagerung nuklearer Abfälle soll 2031 fallen, und ab 2050 soll das Endlager gebaut und gefüllt werden (Nationales Begleitgremium, 2020b).

Wie wir die Endlagersuche beeinflussen können

Diesen Prozess hat eine sogenannte Endlagerkommission vorgeschrieben. Die Bundesregierung hat sie, eine Gruppe bestehend aus Vertreter:innen aus der Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, 2014 hiermit beauftragt (Berlin Institut für Partizipation, 2018; Nationales Begleitgremium, 2020b). Nach zwei Jahren reichte die Kommission einen 600-seitigen Bericht ein, der auch einen vielversprechenden und ambitionierten Plan für die Bürger:innenbeteiligung während der Endlagersuche enthielt (Berlin Institut für Partizipation, 2018; Nationales Begleitgremium, 2020b). Der Bericht unterstreicht, dass Vertrauen, Transparenz, Anpassungsfähigkeit und Beteiligung notwendig sind, um sicherzustellen, dass die Bürger:innen den Prozess verstehen und akzeptieren, denn nur so sei ein Endlager umsetzbar (Berlin Institut für Partizipation, 2018; Nationales Begleitgremium, 2020b).

Aus diesem Grund gibt es zum Beispiel seit 2019 einen Partizipationsbeauftragten. Als eine Art Ombudsperson und Beteiligungsgarant soll Herr Hans Hagedorn „bis 2031 und darüber hinaus“ unabhängig und neutral dafür sorgen, dass alle Standpunkte und Konflikte ernst genommen und fair behandelt werden (Berlin Institut für Partizipation, 2018; Hagedorn, H., 2019). Er hat die Übersicht über alle Interessenkonflikte und unterstützt alle in der Standortsuche involvierten Gruppen dabei, berücksichtigt zu werden (Hagedorn, H., 2019).

Die Akteure

Doch wer ist überhaupt in diesen Prozess involviert? Und wer hat welche Aufgabe?

Die Bundesregierung, und dadurch insbesondere das Bundesumweltministerium, trägt die Verantwortung für ihre Entscheidung, Atomkraft gefördert und dadurch Atommüll produziert zu haben. Das Bundesumweltministerium hat einen großen Teil dieser Verantwortung an andere Institutionen weitergegeben, beaufsichtigt diese aber trotzdem weiter und sorgt dafür, dass sich alle Beteiligten an das Gesetz und das vorgeschriebene Verfahren halten (Nationales Begleitgremium, 2020c).
Zwei staatliche Akteure sind damit beauftragt, die Standortsuche zu organisieren und durchzuführen. Auf der einen Seite ist dies das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (kurz: BASE), auf der anderen Seite die Bundesgesellschaft für Entsorgung (kurz: BGE) (Berlin Institut für Partizipation, 2018). Das BASE soll den Prozess koordinieren und kontrollieren und dafür sorgen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung gewährleistet ist. Zum Beispiel organisiert es Fachkonferenzen, an denen sich alle Bürger:innen beteiligen können (Nationales Begleitgremium, 2020c). Gleichzeitig ist die BGE das Unternehmen, das die tatsächlichen Untersuchungen und Analysen, die im Prozess der Standortsuche gefordert werden, durchführen und ihre Ergebnisse ausgewertet zur Entscheidungsfindung veröffentlichen (Nationales Begleitgremium, 2020c).
Ein weiterer Akteur, der besonders für die Partizipationsstruktur wichtig ist, ist das Nationale Begleitgremium (kurz: NBG). Als eine Art Nachfolger der Endlagerkommission soll das NBG, bestehend aus politisch unabhängigen Vertreter:innen der Öffentlichkeit und der jungen Generation (mehr dazu hier [Link: https://www.slu-boell.de/de/2021/09/20/es-geht-um-unsere-zukunft-jugendbeteiligung-der-endlagersuche-mehr-als-huebsches-beiwerk]), den Prozess begleiten und sich für das Allgemeinwohl einsetzen. Dabei kann es das BASE und die BGE auf Möglichkeiten aufmerksam machen, wie der Prozess verbessert oder mehr und wertvollere Partizipation ermöglicht werden könnte (Nationales Begleitgremium, 2020c).
Das NBG ist also ein Weg, wie die Stimmen der Bürger:innen gehört werden können. Zudem organisiert das BASE und das NBG verschiedene Formate, wie Bürger:innen mit Expert:innen zusammenkommen und die aktuellsten Entwicklungen diskutieren und kritisch hinterfragen können. Hierzu zählen die sogenannten Statuskonferenzen, die Fachkonferenzen Teilgebiete und das Forum Endlagersuche, aber auch Jugendworkshops und Konferenzen, die konkret in den Regionen stattfinden, die näher betrachtet werden (Berlin Institut für Partizipation, 2018; Nationales Begleitgremium, 2020b; Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, 2022). Damit Menschen aus den verschiedenen Regionen auch zusammenkommen und ihre Interessen teilen und gemeinsam stärken können, wird es in der zweiten und dritten Phase auch einen sogenannten Rat der Regionen geben (Nationales Begleitgremium, 2020b).

Wie viel Macht hat die Öffentlichkeit?

All diese Angebote zur Partizipation geben der Öffentlichkeit zwar keine direkte Entscheidungsmacht, aber sie verleihen der öffentlichen Stimme trotzdem ein beachtliches Gewicht. Bürger:innen erhalten die Möglichkeit, sich zu diesem wichtigen Thema zu informieren und das Vorgehen und die Beschlüsse zusammen mit anderen kritisch zu hinterfragen. Am Ende jeder Phase können sie sogar „qualifizierte Nachprüfungen“ vom BGE einfordern oder vor dem Bundesverwaltungsgericht klagen, wenn sie mit der Entscheidungsfindung nicht zufrieden sind (Hagedorn, H., 2019; Nationales Begleitgremium, 2020b).

Ob dies jedoch ausreichen wird, um den Bürger:innen das Gefühl zu geben, sie könnten ihrer Regierung wieder vertrauen und ein Endlager auch in ihrem Wohnort akzeptieren, ist heute kaum vorhersehbar. Trotzdem ist es nicht bestreitbar, dass das StandAG und die Art, wie diese Suche nach einem Endlager gestaltet wurde, das Resultat von vielen Jahren Arbeit ist, bei der das Allgemeinwohl im Mittelpunkt steht und aus den Fehlern der Vergangenheit, vor allem aus Gorleben, gelernt wurde. Die nächsten Jahre bis zur endgültigen Entscheidung 2031 werden zwar langwierig und mühselig, doch ein derart zukunftsfähiges und vielversprechendes Partizipationsformat gab es in Deutschland noch nie.

Bibliografie:

Berlin Institut für Partizipation (2018): Die deutsche Endlagersuche wird partizipativ – und risikoreich. Abrufbar via: https://www.bipar.de/wp-content/uploads/2018/04/Die-deutsche-Endlagersuche-wird-partizipativ-und-risikoreich.pdf

Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (2022): Forum Endlagersuche. Abrufbar via: https://www.endlagersuche-infoplattform.de/webs/Endlagersuche/DE/Beteiligung/Buergerbeteiligung/konzeption/fachforum/fachforum.html

Hagedorn, H. (2019): Der Partizipationsbeauftragte. Abrufbar via: https://www.nationales-begleitgremium.de/DE/WerWirSind/Partizipationsbeauftragte/partizipationsbeauftragte_node.html

Nationales Begleitgremium (2020a): Wir begleiten die Endlagersuche in Deutschland. Abrufbar via: https://www.nationales-begleitgremium.de/DE/Home/home_node.html

Nationales Begleitgremium (2020b): Das Verfahren im Überblick. Abrufbar via: https://www.nationales-begleitgremium.de/DE/Endlagersuche/VerfahrenImUeberblick/verfahrenimueberblick_node.html

Nationales Begleitgremium (2020c): Akteure und Aufgaben. Abrufbar via: https://www.nationales-begleitgremium.de/DE/Endlagersuche/AkteureUndAufgaben/akteureundaufgaben_node.html

Zum Weiterlesen

Roman Krznaric (2020): The good ancestor: how to think long term in a short term world. London.

Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (2019): Nachwuchsquoten in Parteien und Parlamenten. https://generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2019/02/PP-Nachwuchsquoten_2019.pdf