Beitrag von Ben Jagasia, Botschafter bei der SRzG.
Man wird nicht alle Tage vom Bundespräsidenten zum Abendessen eingeladen. Als mich eine offizielle Einladung von Herrn Steinmeier erreichte, war dies ein solcher Tag im Leben, den man nicht mit Worten beschreiben kann. Überraschung, Freude und Dankbarkeit – dieser Sog der Emotionen erfasste mich, während ich jenen Brief öffnete.
Es sollte also nach Berlin gehen, genauer gesagt ins Schloss Bellevue, um an einem Abendessen zum Thema „Soziale Pflichtzeit“ teilzunehmen. Ich wurde zu diesem Anlass eingeladen, weil ich mich wenige Monate zuvor innerhalb des Essays „Grauenpower“ in der ZEIT für ein soziales Pflichtjahr sowohl für Jung als auch für Alt ausgesprochen habe. Meine Forderung war, dass jeder Bundesbürger zwei soziale Pflichtjahre in seinem Leben absolvieren solle, nach dem Schulabschluss und vor dem Renteneintritt.
So gesehen war das Abendessen beim Bundespräsidenten vor allem eine Plattform des Austausches, bei dem die Idee einer sozialen Pflichtzeit im Mittelpunkt stand. Dazu eingeladen waren viele prominente Gäste, die sich in der Vergangenheit öffentlich zu einer sozialen Pflichtzeit geäußert hatten. Darunter waren unter anderem der Schriftsteller Bernhard Schlink, der neu amtierende CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der Berliner Kultursenator Joe Chialo, die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, der Philosoph Arnd Pollmann, der kriminalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Sebastian Fiedler, die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft Henriette Neumayer und die Präsidentin des deutschen Pflegerates Christine Vogler.
Zweifelsfrei war es ein Höhepunkt des Abends, so viele inspirierende Persönlichkeiten zu treffen. Und wir alle hatten uns bereits thematisch mit dem Sachverhalt einer sozialen Pflichtzeit beschäftigt – auf einen Kommentar von Herrn Schlink hatte ich sogar meinen Essay in der ZEIT als Erwiderung veröffentlicht. Dementsprechend spannend gestaltete sich die dem Abendessen vorausgehende Vorstellungsrunde, in der jeder Gast sich und seine Position vorstellte. Ich erinnere mich noch gut, wie aufgeregt ich in diesem Moment war, aber im Laufe des Abends gewöhnte ich mich immer mehr an das besondere Ambiente. Auf das Essen selbst konnte ich mich dennoch nicht konzentrieren, da der Gegenstand der Debatte – eine soziale Pflichtzeit – wirklich meine volle Aufmerksamkeit beanspruchte. Dazu habe ich mich in das Tischgespräch eingeschaltet und auf die Wahrung der Generationengerechtigkeit bestanden. Denn junge Menschen werden die Hauptlast der Herausforderungen der Zukunft zu stemmen haben – sei es beim Fachkräftemangel, der demografischen Entwicklung oder beim Klimawandel. Schon die Corona-Pandemie und jetzt der Krieg in der Ukraine haben gezeigt, wie sehr sich unsere Lebensrealität negativ verändert hat. So kann es nicht sein, dass junge Menschen einseitig belastet werden, während die Generation der Babyboomer, die meist in Wohlstand und Frieden aufwachsen konnten, in Rente geht. Und dadurch die Sozial-/ und Pflege-Systeme belasten, welche dann wiederum junge Menschen am Laufen halten müssen.
Zwar muss unser Zusammenhalt in der Gesellschaft gestärkt werden und eine soziale Pflichtzeit wäre eine gute Lösung, aber nur wenn Jung und Alt gemeinsam in der Verantwortung sind. Dies muss auch der Bundespräsident mitbedenken bei seiner Forderung, jeder Bundesbürger müsse einmal im Leben eine soziale Pflichtzeit absolvieren. Das würde in unserer aktuellen Gesellschaft bedeuten, dass viele der Babyboomer keine soziale Pflichtzeit mehr ableisten müssten, besonders ältere Männer, die ja bereits an der Waffe gedient haben oder Zivildienst geleistet haben. Letztendlich würden dann besonders junge Menschen und ältere Frauen eine soziale Pflichtzeit absolvieren, was weder generationengerecht noch geschlechtergerecht wäre.
Es gäbe jedoch die Möglichkeit, zu sagen, dass jeder und jede Deutsche auf das Neue eine soziale Pflichtzeit absolvieren müsste. Selbstverständlich bräuchte es hier eine Altersgrenze, die man flexibel an die demografische Entwicklung anpassen könnte. Und man müsste Individualität bezüglich Zeit und der Art der Arbeit einer sozialen Pflichtzeit zulassen. Aber man hätte dadurch das Potenzial, durch ein gerechtes Angebot die Generationen in der Gesellschaft zusammenzubringen.
Ich bin froh, dass meine Anmerkungen Gehör gefunden haben und ich bin gespannt, wie es in der Zukunft beim Thema „Soziale Pflichtzeit“ weitergeht. Zwar ist eine politische Mehrheit für die Einführung einer sozialen Pflichtzeit noch in weiter Ferne. Aber während des Tischgespräches an diesem Abend hatte ich das Gefühl, dass ich trotzdem optimistisch in die Zukunft blicken kann. Denn es wurde bei jenem Abendessen im Schloss Bellevue eine Vision für ein Deutschland skizziert, in welcher der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft wieder mehr gestärkt wird. Hierzu gibt es bereits viele gute Ideen und Menschen, die nicht müde werden, für eine soziale Pflichtzeit zu werben. Nun muss nur noch die Übertragung von der Theorie in die Praxis gelingen.