Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.2023 wird über die Schuldenbremse diskutiert. Ist sie eine Investitionsbremse, die den nötigen Strukturwandel oder sogar den Klimaschutz aufhält? Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen hat sich immer dagegen ausgesprochen, finanzielle und ökologische Generationengerechtigkeit gegeneinander auszuspielen. Beides sind Ausformungen des gleichen Grundprinzips, nämlich nicht auf Kosten der Zukunft zu leben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur Schuldenbremse die Generationengerechtigkeit gestärkt, genauso wie es im April 2021 mit seinem Klimaurteil die Generationengerechtigkeit gestärkt hat.

Die Einführung der Schuldenbremse des Grundgesetzes 2009 war ein Meilenstein der finanziellen Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit gewesen. Denn der Erfolg einer politischen Partei misst sich an ihrer Wahl bzw. Wiederwahl. Eine Partei, die die nächste Wahl gewinnen will, hat einen Anreiz, Schulden aufzunehmen oder zukünftige Einnahmen vorzuziehen, anstatt heute die Ausgaben zu kürzen oder Steuern zu erhöhen. Da die Zinslasten erst in Zukunft spürbar werden, die positiven Folgen von Ausgaben für Soziales oder Subventionen hingegen bereits die heutige Wählerschaft befriedigen, entstehen strukturelle Anreize, kurzfristige Mehrausgaben und „Wahlgeschenke“ über Schulden zu finanzieren. Die negative Hypothek wird kommenden Generationen überlassen. Mit der Aufnahme von Schuldenbremsen in die Verfassung hatte die politische Klasse in Deutschland (aber auch in anderen EU-Ländern) in einem Anflug von Weisheit ihrem Gestaltungsdrang Grenzen gesetzt – so wie Odysseus, der seine Kameraden anwies, ihn am Mast festzubinden, damit er nicht dem Gesang der Sirenen folgen und das Schiff ins Verderben steuern könne.

Jahrhundertelang hatten kluge Menschen für eine Schuldenbeschränkung geworben. In Platons Politeia wurde „haushälterischer Anstand“ als Paradigma für Gerechtigkeit herangezogen. Bei Kant wurde Staatsverschuldung „in Beziehung auf äußere Staatshändel“ abgelehnt. Und Thomas Jefferson betrachtete die Finanzierung über Staatsanleihen „als gerechtfertigt nur in dem Maße, wie die Schuld innerhalb der Zeitspanne der Mehrzahl der Leben der Generation, die die Schulden aufgenommen hat, getilgt wird“. Das scheinbar so spröde Thema Finanzpolitik hat also eine moralische Komponente. Und dass aus der ehemaligen Utopie von Platon, Kant oder Jefferson heute Verfassungswirklichkeit geworden ist, zählt zu den moralischen Errungenschaften.

Am Grundgesetzartikel 115, also der Schuldenbremse, sollte kein Buchstabe geändert werden. Aber zusätzlich dazu sollte in einem neuen Artikel ein Investitionsgebot festgeschrieben werden. Denn eine Generation darf durch ihre Politik nicht mehr Kapital (aller Art) verzehren, als sie neu aufbaut. Es ist eine beständige Gefahr, dass Zukunftsinvestitionen zu kurz kommen, weil Gegenwartsausgaben den Vorrang erhalten. Wünschenswert ist ein ausgeglichener Staatshaushalt bei gleichzeitig hoher Investitionsquote. Diese Investitionen werden nötig sein, um bis 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen und der Industrie bei der Umstellung auf grüne Produktion zu helfen.

Zum Weiterlesen:
Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (2017):
Positionspapier Staatsverschuldung: Sparen für die Zukunft statt an der Zukunft.

Zum Anhören:
WDR 5 Politikum – Der Meinungspodcast – 12.12.2023 (darin 10 min Redebeitrag)