von Eva Siegmann, SRzG-Botschafterin
Wo sich vor etwa einem Monat noch Familien auf den Sommerurlaub, Studierende über die hinter sich gebrachten Prüfungen oder die Abgabe der Hausarbeit freuten, steht heute vor allem große Unsicherheit. Jeden Tag machen aktuelle Fallzahlen, neue Ansteckungen und Todesfälle Schlagzeilen, international vergleicht man das Handling der Krise oder streitet sich um die Ressourcen. Ausgangssperre, Social Distancing oder Ausgangsbeschränkungen sind ein schwerwiegender Einschnitt in unser sonst so freiheitsverwöhntes Europa.
Die Pandemie macht eine gesellschaftliche Trennlinie in besonderem Maße deutlich: die zwischen den Generationen, oder ganz kurz gesagt zwischen alt und jung. Während ältere Menschen eher anfällig für einen schweren Krankheitsverlauf sind und somit in höherem Maße von der Krankheit betroffen sind, riskieren junge Menschen einen weniger schweren Verlauf. Das macht sie jedoch oft unbemerkt zu Träger*innen des Virus. Während es in der Klimakrise häufig die jungen sind, die etwas von den älteren Generationen fordern, wurde das Verhältnis umgedreht.
Um unser Gesundheitssystem nicht über die Grenzen des Machbaren zu treiben, gilt in den letzten Wochen vor allem eines: Solidarität. Gerade diese Solidarität zwischen alt und jung ist es, die viele an der Coronakrise fasziniert. Einigen schwebte bereits ein Klima-Corona-Vertrag zwischen junger und alter Generation vor, ein Austausch gegenseitiger Solidarität und persönlichen Verzichts, um die Herausforderungen anzugehen, die im Interesse der “Anderen” liegen. Und das scheint funktioniert. In ganz Europa ist der öffentliche Verkehr und die zurückgelegten Strecken auf ein Minimum reduziert worden, das außer-häusliche Leben steht still – und das seit Wochen.
Doch der völlige Wegfall des öffentlichen Raumes hat nicht die gleichen Auswirkungen auf jedermann und jederfrau. Eine häusliche Quarantäne lebt sich in einem Haus mit Garten etwa deutlich besser als in einer kleinen Etagenwohnung, die man sich mit vielen Menschen teilt. Und erst recht besser als in einem Lager für Geflüchteten, ohne fließendes Wasser, geschweige denn medizinische Versorgung oder ganz ohne festen Wohnsitz. Der Verzicht auf den öffentlichen Raum fällt solchen viel leichter, die sich in ein sicheres, geborgenes häusliches Umfeld zurückziehen können, während diejenigen, die häusliche Gewalt erleben, ihr nun umso mehr ausgeliefert sind. Der Wegfall der Routine ist für viele gesunde Menschen nur eine kleine Änderung, die zur Kenntnis genommen wird, während andere ihre mühsam erarbeitet Routine für ihre psychische Gesundheit dringend notwendig ist.
Auch viele junge Menschen, deren Leben sich zum größten Teil in Gruppen und nicht mehr in der “Kernfamilie” abspielt, denen im Schnitt deutlich weniger Wohnfläche als älteren Mitbürgern zur Verfügung steht und die zu Anfang des Berufslebens oft deutlich weniger abgesichert sind, betreffen die restriktiven Maßnahmen stark.
Gerade angesichts solcher Situationen stellt sich nun, langsam aber doch immer drängender, die Frage nach dem Ende der Maßnahmen. Wie und vor allem wann kann das öffentliche Leben wieder anlaufen? Wann können Parks wiedereröffnet, Treffen in einer Gruppe wieder erlaubt und das Mittagessen im Restaurant vielleicht nicht gerade zur Normalität, aber doch zu einer Option werden?
Ausgangssperren und soziale Distanz wurden vor einigen Wochen noch als kurzfristig, provisorische Maßnahmen ausgelegt, die das Schlimmste verhindern sollten. Doch langsam wird klar, dass wir den Gipfel der Krankheitsfälle noch lange nicht erreicht haben – ein back to normal kann es nicht schnell geben.
In Frankreich wird diese Debatte nun immer lauter. Die Schließung sämtlicher öffentlicher Einrichtungen der Restaurants und die Verhängung einer allgemeinen Ausgangsbeschränkung, welche zum Verlassen der Wohnung ein ausgefülltes Formular vorschreibt (auf dem Grund, Uhrzeit, Datum und Wohnort anzugeben sind) halten bereits seit über 4 Wochen die Menschen in ihren Häusern. Langsam stellt sich in der Bevölkerung immer drängender die Frage, wann es denn weitergeht mit dem normalen Leben. Die Kurve im wahrsten Sinne des Wortes hat man wohl bisher immer noch nicht gekriegt. Denn noch immer ist keine wirkliche Besserung in der Entwicklung der Fallzahlen und Ansteckungsraten in Sicht, die Krankenhäuser vor allem im Osten Frankreichs und in der Pariser Region sind immer noch überlastet. Auch dem Virus den Krieg zu erklären, wie Macron es tat, hat wohl nicht wirklich geholfen.
Anfangs für nur etwa 15 Tage angekündigt, wurden so die einschränkenden Maßnahmen bis zum 11. Mai verlängert. Doch danach soll Schluss sein, wenn auch noch nicht für alle: Bereits Anfang April hat der französische Premier Edouard Philippe angekündigt, dass ein “déconfinement” nicht für alle und nicht überall gleichzeitig geschehen könne. So ist etwa eine Lockerung der Maßnahmen für Jüngere denkbar, während Risikogruppen und Ältere noch Zuhause bleiben sollen. Präsident Macron lässt Taten folgen und kündigt an, dass man ältere Mitbürger*innen bittet, auch nach dem offiziellen Stichtag zuhause zu bleiben. Auch wenn noch nicht klar ist, wie genau dies in Zukunft ablaufen soll, stellt sich genau hier die Frage nach der Solidarität zwischen den Generationen aufs Neue. Die Krise bietet also mehr Potenzial für einen Konflikt zwischen den Generationen als gedacht.
Wenn es um das Aufheben von Ausgangssperren geht, dann sollte jedoch die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen zunächst im Vordergrund stehen. Dass Einschränkungen nötig sind, darüber sind sich die meisten einig – aber auch darüber, dass diese nicht von Dauer sein können. Dass Menschenleben vor Shoppingtouren gehen, wie es Markus Söder feststellte, darüber muss wohl kaum diskutiert werden. Aber wie sieht es mit dem Schutz von sozial Schwachen und dem Abwenden von wirtschaftlichen Folgen aus? Wann ist der Punkt überschritten, indem das Ausmaß der Pandemie die schwerwiegenden Eingriffe in Grundrechte und Sicherheiten noch rechtfertigt? Wie weit sollte die Solidarität reichen?
Um diese Debatte zu führen braucht es hauptsächlich eines: keine Scheuklappen, keine falsche Solidarität, die womöglich nicht hilft. Und so bringt es nicht besonders viel, an einem Klima-Corona-Vertrag der Generationen festzuhalten, wenn wir eigentlich eine breite gesellschaftliche Debatte über das Maß des Erträglichen bräuchten – wissenschaftliche Stellungnahmen, wie sie etwa für Deutschland die Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften, die etwa die Bundesregierung berät, am Ostermontag veröffentlicht hat, können dabei helfen. Abwägungen hier betreffen zwar auch die gesellschaftliche Konfliktlinie zwischen alt und jung, aber beziehen noch wesentlich mehr Faktoren mit ein als nur das Alter der Bevölkerung.
In diesem Sinne müssen auch Szenarien eines differenzierten und progressiven Aufhebens der Maßnahmen durchdacht werden. Könnte also eine Abstufung nach Alter helfen, wie sie in unserem Nachbarland Frankreich angedeutet wurde? Die tatsächliche Sinnhaftigkeit einer solchen Differenzierung ist fraglich: Haushaltskontakte, die durch die soziale Distanz derzeit ohnehin einen Großteil der Neuinfektionen ausmachen, bleiben weiter bestehen. Und zu den besonderen Risikogruppen gehören nicht nur ältere Menschen, sondern auch zahlreiche junge Menschen mit Vorerkrankungen. Ein pauschales Wegschließen der Alten, damit wir unser Leben weiterleben können? Was auf den ersten Blick vielleicht nach einem Ausweg aus dem aktuellen Dilemma klingen mag, damit wir, die Jungen, unser Leben weiterleben können, ist doch eigentlich nichts weiter als eine wenig zielführende Bevormundung, gegen die junge Menschen auch oft genug anzukämpfen haben – sei es im Berufsleben oder in der Politik.