Von Jule Könneke, SRzG-Botschafterin

Am 1. Juli 2020 hat Deutschland turnusgemäß für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union (EU) übernommen – in einer Zeit, die gleich von zwei existenziellen Krisen geprägt ist: die COVID-19-Pandemie und die Klimakrise. Seit Beginn ihrer Präsidentschaft steht die Bundesregierung unter dem Druck, die ökonomischen Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Mit dem Motto „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ hat sie daher die Bewältigung der COVID-19-Pandemie und die Beantwortung aktueller Zukunftsfragen – wie die Bekämpfung des Klimawandels – in den Mittelpunkt ihrer Präsidentschaft gestellt. Dabei müssen die Klima- und die Corona-Krise zugleich bewältigt werden. Unter keinen Umständen darf der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Pandemie auf Kosten von Klimaschutz gehen, denn die Auswirkungen des Klimawandels – wie extreme Wetterereignisse, Hitzewellen, Dürren und der Anstieg des Meeresspiegels – sind schon heute, insbesondere aber für zukünftige Generationen, ein Sicherheitsrisiko. Doch der Schutz des Klimas ist nicht nur eine Frage der Generationengerechtigkeit. Auch die globale Ungleichheit ist – wie auch hinsichtlich der Corona-Pandemie – immens: Ärmere Weltregionen im Globalen Süden sind häufig stärker betroffen und meist weniger resilient als reiche Industriestaaten.

Den Rahmen für die Lösung dieser Krisen bietet der European Green Deal, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Der im Dezember 2019 von der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen vorgeschlagene European Green Deal ist ein weitreichendes Konzept, das Klima- und Umweltschutz mit Wachstumsimpulsen verbindet. Damit stehen die Themen Klimaschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit erstmals im Mittelpunkt der politischen Agenda der EU. Auch die soziale Dimension denkt der European Green Deal mit: Er betont die Notwendigkeit, den Wandel der europäischen Wirtschaft für alle sozial gerecht und inklusiv zu gestalten. Damit weist er einen vielversprechenden Weg aus der aktuellen Wirtschafts- und Klimakrise und bietet eine einmalige Chance, in eine sozial gerechte, klimaneutrale, und ökonomisch erfolgreiche EU zu investieren. Dass das machbar ist, zeigte zuletzt eine Gruppe Wissenschaftler*innen im Oktober. Ihren Ergebnissen zufolge würde schon ein kleiner Teil der weltweiten Corona-Hilfspakete ausreichen, um zumindest das 2-Grad-Ziel des Pariser Abkommens in Reichweite zu rücken.[i]

Um die Klima- und die Coronakrise zugleich zu bewältigen, müssen die im Kontext der COVID-19-Krise aufgesetzten Konjunkturprogramme zur Erholung der Wirtschaft eng an den Zielen des European Green Deal ausgerichtet sein und mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 verknüpft werden. Nur wenn es gelingt, die Folgen der Corona-Pandemie auf eine nachhaltige und inklusive Weise zu bewältigen und sicherzustellen, dass die jetzt verabschiedeten Konjunkturhilfen auch dem Klimaschutz dienen, können die Fehler der Finanzkrise im Jahr 2008 vermieden werden. Auch ein Blick auf Generationengerechtigkeit verdeutlicht die Notwendigkeit der Klima-Konditionalität von Wiederaufbauplänen: Die jungen und zukünftigen Generationen werden nicht nur die Folgen einer kurzsichtig ausgerichteten Umwelt- und Klimapolitik zu spüren bekommen, sondern tragen zudem auch die Last für die jetzt aufgenommenen Kredite.

Von der Bundesregierung wird – nicht nur im Rahmen der Ratspräsidentschaft – Leadership in der europäischen und internationalen Klimapolitik erwartet. Um den sozial-ökologischen Neustart der europäischen Wirtschaft zu ermöglichen und wahre Führungsstärke zu beweisen, ist die Umsetzung des Europäischen Green Deal entscheidend. Darauf muss Deutschland in den letzten Wochen der Ratspräsidentschaft hinarbeiten und dann sicherstellen, dass Klimaschutz und der grüne Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie auch im kommenden Jahr – wenn die Bundesregierung den Staffelstab an Portugal übergeben hat – an oberster Stelle der europäischen Agenda stehen. Nur so können wir resilienter aus der Corona-Krise gehen. Dabei muss globales, solidarisches und verantwortungsvolles Handeln die Richtschnur sein, denn weder das Coronavirus noch die fatalen Auswirkungen des Klimawandels machen an nationalen Grenzen halt. Beide Krisen sind global und eine Herausforderung für die gesamte Menschheit.

 

Quellenverweise:

[i] Andrijevic, Marina / Schleussner, Carl-Friedrich / Gidden, Matthew J. et al. (2020): COVID-19 recovery funds dwarf clean energy investment needs. In: Science, 370 (6514), S. 298-300.