Am 16. November war Tag der Generationengerechtigkeit 2024! Es war der zweite internationale Aktionstag dieser Art, bei dem die SRzG zusammen mit weiteren Organisationen Regierungen weltweit dazu auffordert, die Rechte und Interessen jüngerer und zukünftiger Generationen besser zu schützen. Als Teil unserer diesjährigen Kampagne für den Tag der Generationengerechtigkeit haben wir diesen Bericht zu den Erfolgen und Herausforderungen für Deutschland im Jahr 2024 erstellt. Zusammen mit anderen Berichten aus Australien, Kanada, der Niederlande und Großbritannien wird er auf der diesjährigen Blog-Week der Intergenerational Foundation präsentiert.
Am 6. November 2024 sorgte ein politisches Erdbeben in Deutschland für Aufsehen: Bundeskanzler Olaf Scholz entließ Finanzminister Christian Lindner was faktisch zur Auflösung der regierenden Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen führte. Nun sind Neuwahlen des Bundestags für Februar 2025 angesetzt und die Zukunft der deutschen Regierung ist unsicher.
Inmitten dieser politischen Turbulenzen, die das deutsche Regierungssystem an den Rand des Stillstands gebracht haben, blickt die SRzG auf ein ereignisreiches Jahr 2024 zurück. Dieses Jahr war geprägt von komplexen politischen Herausforderungen, die Generationengerechtigkeit direkt betreffen. Dazu zählten Themen wie die Einhaltung von Klimazielen, die Reform des Rentensystems, die Förderung des politischen Engagements junger Menschen und die anhaltenden Verzögerungen bei der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle.
In all diesen Bereichen gab es einerseits vielversprechende Fortschritte, andererseits aber auch erhebliche Rückschläge – insbesondere bei der Sicherstellung einer gerechten Behandlung jüngerer und zukünftiger Generationen. Im Folgenden geben wir euch einen Überblick über die wichtigsten Erfolge und Herausforderungen des Jahres 2024.
Klimapolitik
Das deutsche Klimaschutzgesetz von 2019 bleibt ein Maßstab für die Generationengerechtigkeit in der Politik. Mit den Zielen, die Emissionen bis 2030 um 65 % zu reduzieren und bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, stellt das Gesetz eine konkrete Verpflichtung zum langfristigen Schutz jüngerer Generationen vor klimabedingten Risiken dar. Dieser rechtsverbindliche Rahmen wurde durch ein Gerichtsurteil (des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2021 weiter gestärkt, das die Pflicht des Staates zum Schutz der Freiheiten künftiger Generationen bekräftigte. Am 26. April 2024 wurde jedoch das neue Klimaschutzgesetz im Bundestag verabschiedet. Es enthält wesentliche Änderungen, unter anderem bei der Messung der Treibhausgasemissionen, die nun nicht mehr sektoral, sondern gesamtstaatlich gemessen werden. Es ist daher nicht mehr notwendig, dass z.B. der Gebäude- oder Verkehrssektor seine Ziele erreicht. Die SRzG sieht in dieser Abkehr von sektorspezifischen Zielen ein Einknicken der Bundesregierung vor den Interessen dieser Sektoren. Dies ist eine komplette Aushöhlung des Klimaschutzgesetzes und ein Rückschritt für den Klimaschutz.
Damit scheinen drei Jahre nach dem historischen Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2021 sowohl die Rechte als auch die Pflichten zum Schutz vor dem Klimawandel in den Hintergrund gerückt zu sein.
Die Beschwerdeführer:innen der damaligen Klimaresolution – Neubauer, Backsen und andere – haben sich mit Greenpeace, Germanwatch und anderen Organisationen zusammengetan, um am 26. Juni 2024 erneut ihr Recht auf Klimaschutz vor dem BVerfG einzufordern.
Sozialversicherungssysteme
Die Debatte über die Rentenreform in Deutschland gewann im Jahr 2024 erneut an Intensität, da die vorgeschlagene Einführung des Rentenpakets II Bedenken hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen auf die Generationen weckte. Die vorgeschlagene Reform würde den „Nachhaltigkeitsfaktor“ in der gesetzlichen Rentenversicherung (gRV) abschaffen – ein Mechanismus, der die Kosten des demografischen Wandels gerecht zwischen Beitragszahler:innen und Rentner:innen verteilen soll. Die Abschaffung dieses Faktors würde die jüngeren Generationen finanziell effektiv mehr belasten , da sie die Rentenkosten einer wachsenden alternden Bevölkerung schultern müssten.
Der Stiftung Marktwirtschaft zufolge werden junge Beitragszahler:innen mit noch höheren Beiträgen konfrontiert, die bei der derzeitigen Entwicklung bis zum Alter von 40 Jahren mehr als 50% ihres Einkommens ausmachen könnten. Dieser Trend würde sich durch das Rentenpaket II nur noch verschärfen. Die SRzG hat das Paket kritisiert und strukturelle Reformen gefordert, um Gerechtigkeit für junge und zukünftige Arbeitnehmer:innen zu gewährleisten. Angesichts des Scheiterns der deutschen Regierung scheint es, als ob diese umstrittene Änderung des Rentensystems nie umgesetzt werden könnte. Dennoch ist es wichtig, sich mit den Auswirkungen eines solchen Vorschlags und den verbleibenden Mängeln der sozialen Sicherungssysteme auseinanderzusetzen, die sowohl die Renten als auch die Pflege betreffen. Die SRzG argumentiert, dass die gegenwärtigen Entscheidungen die Gefahr bergen, eine „Gerontokratie“ zu schaffen, in der die Interessen der älteren Generationen Vorrang haben.
Trotz einer gemeldeten leichten Verbesserung der Tragfähigkeitslücke in Deutschland – die größtenteils auf inflationsbedingte Einnahmensteigerungen zurückzuführen ist – liegt die Gesamtverschuldung des Staates, einschließlich der impliziten Schulden, immer noch bei 374,6 % des BIP. Ohne den Nachhaltigkeitsfaktor würden die impliziten Verbindlichkeiten innerhalb der gRV wahrscheinlich steigen, was steigende Kosten für zukünftige Generationen bedeutet. Die SRzG befürwortet als ersten Schritt zu einer grundlegenderen Reform die Einbeziehung der Abgeordneten in die gesetzliche Rentenversicherung, um die Verantwortlichkeit der politischen Entscheidungsträger:innen zu fördern.
Die SRzG vertritt den Standpunkt, dass Reformen nicht nur die unmittelbaren Forderungen der Wähler widerspiegeln sollten, sondern auch eine langfristige, nachhaltige Vision, die die demografischen Kosten gleichmäßiger auf die Altersgruppen verteilt. Lösungen wie eine allgemeine Erwerbstätigenversicherung und die schrittweise Einbeziehung aller Arbeitnehmer:innen, einschließlich der Abgeordneten und schließlich der Beamten, in das öffentliche Rentensystem könnten als Modell für eine gerechte Verteilung dienen. Die SRzG mahnt kontinuierlich, dass die heutigen Entscheidungen über das Rentensystem die finanzielle Landschaft für die kommenden Generationen bestimmen werden.
Suche nach einem Atommüll-Endlager
Eines der drängendsten generationenübergreifenden Themen im Jahr 2024 ist Deutschlands verzögerte Suche nach einem Endlager für seine hochradioaktiven Abfälle. Ursprünglich sollte das Endlagerauswahlverfahren bis 2031 abgeschlossen sein, nun wird es sich voraussichtlich bis 2074 hinziehen, was erhebliche Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Zwischenlagern aufwirft. Die SRzG hat diese Verzögerung scharf kritisiert und auf die Gefahren hingewiesen, die von einer fortgesetzten oberirdischen Lagerung ausgehen. Dies gilt besonders in Zeiten erhöhter Sicherheitsbedrohungen.
Der Geschäftsführer der SRzG, Jörg Tremmel, bezeichnete es als „absolut unverantwortlich“, die radioaktiven Abfälle in den Zwischenlagern zu belassen, da die derzeitigen Bedingungen keinen ausreichenden Schutz vor Umweltgefahren oder möglichen Anschlägen bieten. Die SRzG fordert eine Überarbeitung des Standortauswahlgesetzes, um den Suchprozess zu beschleunigen und eine sichere, dauerhafte Lösung für den deutschen Atommüll zu finden. Unter Verweis auf erfolgreiche Beispiele aus Ländern wie der Schweiz plädiert die SRzG für ein zielgerichteteres Vorgehen mit schnelleren und gründlicheren Untersuchungen potenzieller Standorte, bei denen die Sicherheit und Stabilität für künftige Generationen im Vordergrund steht.
Jugendliches Engagement und Wahlrecht
Auch in Deutschland gibt es vielversprechende Fortschritte bei der Ausweitung des politischen Engagements junger Menschen. Die SRzG begrüßt die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre für die Wahlen zum Europäischen Parlament und unterstützt dasselbe Vorgehen für mögliche zukünftige Bundestagswahlen. Wie die SRzG argumentiert, trägt die Beteiligung jüngerer Bürger:innen am demokratischen Prozess der Notwendigkeit Rechnung, jüngere Perspektiven in Entscheidungen einzubeziehen. Diese Entscheidungen betreffen schließlich direkt ihre Zukunft, beispielsweise in der Klima- und Wirtschaftspolitik. Deutschland und andere EU-Länder haben die Möglichkeit das Wahlalter grundsätzlich zu senken und damit das Prinzip der Generationengerechtigkeit in der Politik zu stärken.
Im Jahr 2024 hat Deutschland in einigen Bereichen der Generationengerechtigkeit Fortschritte gemacht, aber es bleiben erhebliche Herausforderungen. Angesichts der gegenwärtigen Ungewissheit über die Zukunft der deutschen Regierung bleibt abzuwarten, wie sich dies auf die politischen Vorschläge und Reformen auswirken wird, die bereits in Vorbereitung waren und welche Prioritäten die neue Regierung stattdessen setzen könnte.
Die SRzG wird sich weiterhin für die Notwendigkeit nachhaltiger Reformen einsetzen, die diese Probleme mit einer langfristigen Perspektive angehen und sicherstellen, dass das politische Erbe Deutschlands künftige Generationen unterstützt – und nicht untergräbt.