von Florian Bauer, SRzG-Praktikant

Deutschland wird immer älter und damit auch seine Wähler. Waren bei der Bundestagswahl 1990 noch 27% der Wahlberechtigten 60 Jahre und älter, so waren es bei der Bundestagswahl 2017 schon 36% – Tendenz steigend. Dies hat gravierende Auswirkungen auf das politische System in Deutschland, zahlreiche Wissenschaftler*innen sehen Deutschland auf dem Weg in eine „Rentnerdemokratie“. Kann man gar von einer Gerontokratie sprechen?

Was ist eigentlich eine Gerontokratie?

Das Wort Gerontokratie ist eine Kombination der altgriechischen Ausdrücke γέρων géron (Greis) und κράτος krátos (Herrschaft) und bedeutet so viel wie „Herrschaft der Alten“. Es ist also eine Herrschaftsform, in der hauptsächlich Menschen hohen Alters das politische Handeln bestimmen.

Ursprünglich bezieht sich der Begriff auf den im antiken Sparta herrschenden Ältestenrat, der Gerusia. Hier trafen 28 männliche Bürger Spartas mit einem Mindestalter von 60 Jahren zusammen und herrschten über die in Altersgrade strukturierte Gesellschaft.

Auch die Stammesstrukturen der Indianer oder der Aborigines werden oft als gerontokratisch bezeichnet, da ein Ältestenrat die Stammeshäuptlinge bestimmt („Elders“ als Stammesführer).

Befindet sich Deutschland wirklich auf dem Weg in eine Gerontokratie?

Die steigende Anzahl der Rentner in Deutschland und eine niedrige Geburtenrate haben in den letzten Jahrzehnten zu einer Überalterung der Gesellschaft und einem deutlich gestiegenen Medianalter geführt. Diese demographische Entwicklung lässt gleichzeitig auch den deutschen Medianwähler immer älter werden. Die daraus resultierende größere elektorale Kraft der älteren Bevölkerung wird dadurch verstärkt, dass noch nicht geborene Generationen sowie Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren keinerlei politisches Gewicht haben.

Die Politik orientiert sich am Median-Wähler und richtet danach ihr politisches Handeln aus. Die Elderly Power Hypothesis besagt, dass sich durch die gestiegene elektorale Kraft der älteren Bevölkerung die politischen Kraftverhältnisse so zugunsten der Älteren verändert haben, dass Deutschland demnach auf dem Weg in die Gerontokratie verortet werden kann. So wird in Zukunft keine Politik gegen die Macht der Älteren zu machen sein.

Nach Bonoli und Häußermann (2010, Studie über Referenden in der Schweiz) nutzen ältere Menschen ihre Überlegenheit zu ihrem Vorteil und blockieren gleichzeitig Investitionen in die Zukunft. Auch Button (1992) kommt zum Ergebnis, dass sich Senior*innen in ihrem Stimmverhalten deutlich häufiger gegen den Ausbau der Bildungsfinanzierung wenden als andere Altersgruppen.

„Weil die Senioren nun in die Überzahl gelangen, können sie ihre Anliegen gegen die Belange anderer Altersgruppen effektiv und machtvoll durchsetzen. Es droht substantiell wie zahlenmäßig eine Gerontokratie: Die Anliegen der Senioren scheinen ins Zentrum aller politischen Regulierung zu rücken.“

– Emanuel Richter, Seniorendemokratie: Die Überalterung der Gesellschaft und ihre Folgen für die Politik, 2020, suhrkamp Verlag, S. 187 ff.

Weitere Studien wie beispielsweise der sogenannte Elderly/Non-Elderly Spending Ratio von Julia Lynch oder Laurence Kotlikoff mit seinem Generational Accounting Modell stellen bei den sozialstaatlichen Leistungen ein klares Ungleichgewicht zugunsten älterer Menschen fest. Auch Gornick (2006) forschte an der Elderly Power Hypothesis und hat dabei die Entwicklungen der sozialstaatlichen Pro-Kopf-Ausgaben in 14 OECD-Ländern im Zeitraum von 15 Jahren untersucht. Länder mit einem geringeren Anteil älterer Menschen haben dabei die Ausgaben sowohl für die jüngere als auch die ältere Generation erhöht. In den Ländern, in denen die ältere Bevölkerung prozentual stark überlegen ist – darunter auch Deutschland – ist eine Umverteilung der Leistungen von jüngeren zu älteren Menschen feststellbar.

Das Älterwerden der deutschen Gesellschaft und die daraus resultierenden Probleme für die nachrückenden Generationen wurden in einigen Talkshows thematisiert. So fand im Juni 2009 nach einem Rentenbeschluss der Bundesregierung eine Episode der Talkshow Anne Will unter der Frage „Rentner machen Kasse – Wann ist Zahltag für die Jungen?“ statt.

Im April 2008 befeuerte Ex-Bundespräsident Roman Herzog die Debatte in Deutschland, in dem er in einem Interview vor einer „Rentnerdemokratie“ warnte und Sorgen äußerte, dass „die Älteren die Jüngeren ausplündern“ könnten.  Auch Meinhard Miegel, Gründer des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG), sieht Deutschland auf dem „Weg in die Altenrepublik“ und spricht von einem „Demokratieproblem“.

Was kann gegen diese Entwicklung unternommen werden?

Eine in Deutschland viel diskutierte Maßnahme, um der jungen Generation eine Stimme zu verleihen ist die Herabsenkung des Wahlalters. Neben Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, der SPD und in Teilen der FDP fordert auch Familienministerin Franziska Giffey eine Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Sie stützt sich dabei auf eine Studie der Freien Universität Berlin, die zu der Erkenntnis kommt, dass „wenig gegen eine Absenkung des Wahlalters spricht“.

Wir, die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, bringen einen noch weitreichenderen Vorschlag ins Spiel, um dem fortschreitenden Wandel Deutschlands in eine Gerontokratie entgegenzuwirken. Wir plädieren für ein Wahlrecht ohne Altersgrenze, bei dem junge Menschen ab einem selbst gewählten Zeitpunkt durch Eintragung in das Wählerregister ihr Recht der Mitbestimmung ausüben können. So hat die junge Generation ein stärkeres politisches Gewicht und die Politik muss auch verstärkt auf deren Interessen Rücksicht nehmen.

Ein weiterer Ansatzpunkt der Politik in Deutschland liegt bei der Erhöhung der Geburtenrate. So bringt der ehemalige Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn eine Erweiterung der Rentenformel um eine Kinderkomponente ins Spiel. Außerdem fordert er weitere familienpolitische Maßnahmen wie etwa einen raschen Krippenausbau. So könne es wieder mehr Kinder in Deutschland geben und es bestehe eine größere Chance, die Gerontokratie und die absehbare demographische Krise zu überwinden.

Der Politikwissenschaftler Jörg Tremmel findet die Verankerung der Generationengerechtigkeit im Grundgesetz die passende Antwort auf die wachsende Bedeutung der Interessen der älteren Bevölkerung. So werden „dem politischen Kurzfristdenken quasi von Rechtswegen ein Riegel vorgeschoben“ und die Rechte der zukünftigen Generationen gewahrt.

Im Artikel „Better Procedures for Fairer Outcomes“, erschienen 2015 in der Intergenerational Justice Review der SRzG, spricht sich Juliana Bidadanure für eine gesetzliche Jugendquote in Parlamenten aus. So sollen die Interessen der unterrepräsentierten jungen Generation auch institutionell in einem angemessenen Rahmen vertreten werden und dem fortschreitenden Wandel westlicher Demokratien zu Gerontokratien entgegengewirkt werden.

Es gibt also zahlreiche Möglichkeiten dieser besorgniserregenden Entwicklung hin zu einer Gerontokratie entgegenzuwirken. Wir als Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen werden weiter politisch Druck machen und kämpfen, dass die Interessen der wenig beachteten jungen Bevölkerung und der nachrückenden Generationen weiter in den Fokus rücken.

 

Quellenverweise

Emanuel Richter: Der Krieg der Generationen und die Gerontokratie: Bringt die wachsende Zahl der SeniorInnen Schaden oder Chancen? In: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 4. September 2020

Giuliano Bonoli, Silja Häusermann: A Young Generation Under Pressure? : The Financial Situation and the „Rush Hour „of the Cohorts 1970 – 1985 in a Generational Comparison. Springer-Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-642-03482-4

Sandra Brunsbach: Politische Parteien in Zeiten des demographischen Wandels – Reflexion der veränderten Altersstruktur in der Parteiprogrammatik. Springer Verlag, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-658-20351-1

Julia Lynch: Age in the Welfare State: The Origins of Social Spending on Pensioners, Workers and Children. In: Cambridge: Journal of Social Policy, Volume 38, Issue 1, Cambridge 2006, ISBN 9780511606922

Markus Tepe and Pieter Vanhuysse: Who Cuts Back and When? The Politics of Delays in Social Expenditure Cutbacks. In: West European Politics, Volume 33, Issue 6, 2010

Alan J. Auerbach, Jagadeesh Gokhale, and Laurence J. Kotlikoff: Generational Accounting: A Meaningful Way to Evaluate Fiscal Policy. In: Journal of Economic Perspectives, Volume 8, 1994

Kampf der Generationen: Herzog warnt vor „Rentner-Demokratie“. In: Der Spiegel, 11. April 2008

Thomas Straubhaar: Gerontokratie: Raffgier-Herrschaft der Alten muss gestoppt werden. In: DIE WeLT, 18. November 2014

Thomas Sommer: Willkommen in der Altenrepublik. In: polinomics

Neuer Vorstoß von Giffey: Mit 16 zur Wahlurne? In: tagesschau.de, 30. Juli 2020

Wahlrecht ohne Altersgrenze. In: generationengerechtigkeit.info/wahlrecht-ohne-altersgrenze/

Hans-Werner Sinn: Deutsche Gerontokratie. In: WirtschaftsWoche, 7. Juni 2014

Rentnerrepublik: Barrieren gegen die Gerontokratie. In: Die Zeit, 1. Mai 2008

Juliana Bidadanure: Better Procedures for Fairer Outcomes: Youth Quotas. In: Intergenerational Justice Review, Vol 1, No 1, 2015, S. 4 ff.

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