Von Ben Jagasia (SRzG-Botschafter).
Entgegen dem Widerstand junger Abgeordneter der Unionsfraktion hat der Bundestag in der vergangenen Woche das Rentenpaket 2025 der Bundesregierung beschlossen. Siehe den Blogbeitrag der SRzG zu diesem Thema. Dieses Rentenpaket ist das perfekte Beispiel dafür, was Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in seinem neuen Buch Nach uns die Zukunft als „gigantische Umverteilung von Jung zu Alt“ beschreibt (S. 16).
Man sieht: Fratzschers Buch kommt zur rechten Zeit. In einer Phase, in der „über 80 Prozent der Menschen […] davon überzeugt [sind], dass der Lebensstandard sinken und es künftigen Generationen schlechter gehen wird“ (S. 203), legt der Ökonom nicht nur eine Analyse unserer Gegenwart vor, sondern macht auch Vorschläge für einen neuen Generationenvertrag.
In der Einleitung lässt Fratzscher keinen Zweifel an dem Ernst der Lage. „Der Generationenvertrag unserer Gesellschaft ist gebrochen“ (S. 12). Das historische Versprechen, dass es den Kindern einmal besser gehen soll als den Eltern, gelte nicht mehr. Fratzscher führt dies darauf zurück, dass „[…] kaum eine Generation ihren Kindern und Enkelkindern so viele Chancen auf ein gutes und selbstbestimmtes Leben geraubt hat wie die Babyboomer heute“ (S. 12). Fratzscher sieht durchaus die positiven Leistungen der Babyboomer in den letzten Jahrzehnten, attestiert aber gleichzeitig, dass all diese Errungenschaften – Demokratie, Klima und eine prosperierende Wirtschaft – heutzutage bedroht sind (vgl. S. 12 f.). Somit lebt die Babyboomer-Generation nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ (S. 14) und hinterlässt eine wenig lebenswerte und bedrohte Welt für junge und zukünftige Generationen.
Zugleich kommt Fratzscher auf die wichtigste Konsequenz dieser Ausgangslage zu sprechen. Er führt aus, dass die jungen Menschen für die ausufernden Staatsschulden und die stetig steigenden Beitragssätze für die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung aufkommen müssen. Dadurch werden ihre Handlungsspielräume für Investitionen in die Zukunft immer kleiner (vgl. S. 15). Fratzscher beschreibt diese „gigantische Umverteilung von Jung zu Alt“ (S. 16) und erklärt damit auch die politische Polarisierung sowie den Zukunftspessimismus der jungen Generation. Denn es fehle „ein Angebot für die junge Generation“ bezüglich der Zukunft (S. 17).
Bereits zu Beginn des Buches gelingt es Fratzscher, die Probleme, die sich in Bezug auf die Lastenverteilung zwischen Jung und Alt ergeben, auf den Punkt zu bringen. Umso mehr stellt sich nun die Frage, wie ein möglicher Lösungsansatz, ein neuer Generationenvertrag, aussehen könnte. Das Buch ist klar strukturiert und orientiert sich an drei großen normativen Säulen, die Fratzscher als Fundament eines neuen Vertrags sieht: Autonomie, Universalismus und Humanismus (vgl. S. 18 f.). Mithilfe dieser Dreiteilung kann er die komplexen Themenfelder – von der Vermögensungleichheit über die Klimakrise bis hin zur demokratischen Teilhabe – mit generationenungerechter Politik in Verbindung setzen.
Teil 1: Das Recht ein selbstbestimmtes Leben
Im ersten Teil seines Buches widmet sich Fratzscher der Würde des Menschen und der damit einhergehenden materiellen und sozialen Basis von Freiheit. Für ihn ist bei der Würde des Menschen die Selbstachtung jedes Menschen essenziell (vgl. S. 29). Neben einer Leistungsgerechtigkeit braucht es laut Fratzscher auch eine Bedarfsgerechtigkeit, also die Fähigkeit des Einzelnen, sich selbst zu verwirklichen und Anerkennung zu finden (vgl. S. 28 f.). Dieser theoretische Unterbau stützt Fratzschers Forderung nach politischen Reformen, die Teil des neuen Generationenvertrags werden sollen. So braucht es seiner Meinung nach grundsätzlich eine neue Definition von Leistung (vgl. S. 33) sowie eine „Gemeinschaft mit einem hohen Maß an Solidarität, Sicherheit und Stabilität” (S. 36).
Fratzscher sieht viele Probleme unserer Gesellschaft in der Abnahme der Chancengleichheit und der sozialen Mobilität (vgl. S. 39 f.). Hervorzuheben ist insbesondere seine Analyse der Vermögensungleichheit: „[…] 60 Prozent aller Vermögen in Deutschland [wurden] geerbt […]“ (S. 39). Die „Lotterie der Geburt“ (S. 39) entscheidet oft mehr über den Lebenserfolg als die eigene Leistung. Um dem entgegenzuwirken, schlägt Fratzscher eine Stärkung des Bildungssystems (S. 39 ff.) sowie mehr Chancengleichheit vor (S. 46 ff.). Dies betrifft sowohl junge Menschen als auch die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Zudem möchte er die Chancengleichheit hinsichtlich sozialer und ethischer Herkunft sowie sexueller Identität stärken.
Zudem geht Fratzscher auf gute und sinnstiftende Arbeit als Aspekt des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben ein (S. 64 ff.). Er betont, wie wichtig es ist, die Viertagewoche als Pilotprojekt zu erproben, um darüber nachzudenken, wie man Zusammenhalt und Leistungsfähigkeit in der Wirtschaft stärken kann. Außerdem gälte es, den technologischen Wandel als Chance zu begreifen. Auch die Streitthemen Mindestlohn (S. 77 ff.) und bedingungsloses Grundeinkommen (S. 88 ff.) zieht Fratzscher in Betracht, wobei für ihn deren positive Aspekte überwiegen.
Besonders sei darauf hingewiesen, dass Fratzscher der finanziellen Autonomie und Sicherheit (S. 82 ff.) für ein Grunderbe für junge Menschen ausspricht. Neben der Beendigung der Kinderarmut durch eine Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag sieht er darin einen Weg, um finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Er fordert ein „Lebenschancen- oder Grunderbe“, das „[…] dafür sorgen [würde], dass jeden jungen Menschen nach Abschluss der Ausbildung ein Erbe von 30.000 Euro zur Verfügung steht“ (S. 87).
Teil II: Das Recht auf einen lebenswerten Planeten
Im zweiten Teil rückt die ökologische Frage in den Mittelpunkt. Für Fratzscher ist Klimaschutz keine moralische Kür, sondern eine Frage der Freiheit und des Wohlstands: „Klimaschutz ist kluge Wirtschaftspolitik und sichert Freiheit für künftige Generationen“ (S. 99). Dies ist die Hauptthese seiner Argumentation. Er geht dabei auf die „unkontrollierbaren Kosten für künftige Generationen“ (S. 99) ein, die durch den fehlenden Klimaschutz verursacht werden, und auf die Funktion des Klimaschutzes als Motor für die Wirtschaft (S. 106 ff.).
Fratzscher spricht hierbei auch Grundsatzfragen an, wie das Eigentumsrecht zukünftiger Generationen auf einen intakten Planeten (vgl. S. 107) oder die Frage, wie wir Wohlstand in Zeiten zurückgehenden wirtschaftlichen Fortschritts definieren wollen (vgl. S. 103). Somit geht es für ihn auch um die Frage, wie wir unsere Gesellschaft ökologisch, sozial und digital transformieren möchten (vgl. S. 104). Diese Transformation sei zeitlich dringend und erfordere enorme Investitionen (vgl. S. 110).
Teil III: Das Recht auf Solidarität und Frieden
Der politisch vielleicht brisanteste Teil ist der dritte, in dem Fratzscher die Solidarität und den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt. Dies ist für Fratzscher eine grundlegende Frage, denn „solidarische Gesellschaften haben Notzeiten beinahe immer besser gemeistert als ihr individualistisches Gegenmodell“ (S. 140).
Zunächst geht Fratzscher auf die finanziellen Aspekte dieser Solidarität ein. Dabei dockt das Buch direkt an die aktuellen Debatten um den Bundeshaushalt an. So kritisiert Fratzscher die Schuldenbremse. Er ist überzeugt, dass „manche Schulden heute die Voraussetzung für einen schnellen Abbau von Schulden in der Zukunft wären“ (S. 176). Um exzessive Staatsverschuldung und Generationenungerechtigkeit zu verhindern, will Fratzscher die Staatsschulden zum einen jedes Jahr auf das nominale Potenzialwachstum begrenzen (vgl. S. 177). Andererseits sollten die Schulden nur in öffentliche Investitionen fließen (vgl. S. 177 ff.) und alle impliziten und expliziten Verpflichtungen (sowohl Staatsschulden als auch Beitragszahlungen in die gesetzlichen Sicherungssysteme) sollten auf 60 % der jährlichen Wirtschaftsleistung begrenzt werden (vgl. S. 180 ff.). Grundsätzlich geht es ihm darum, dass der Staat auf künftige Generationen ausgerichtet investiert (vgl. S. 183). Gerade vor dem Hintergrund des am Ende der letzten Legislaturperiode beschlossenen Sondervermögens „Infrastruktur und Klimaneutralität“ in Höhe von 500 Milliarden Euro, von dem bekanntlich nicht alle Gelder in zusätzliche Investitionen fließen, sind Fratzschers Vorschläge überzeugend.
Auch im Hinblick auf das Rentenpaket 2025 sind sie anwendbar. So verwundert es nicht, dass Fratzscher eine ausgewogene Finanzierung der Rente zum Kern gesellschaftlicher Solidarität macht (S. 185 ff.). Angesichts des demografischen Wandels sei die finanzielle Belastung junger Menschen durch das Rentensystem zu hoch. Daher bedarf es einer Flexibilisierung des Renteneintrittsalters sowie der Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen in das gesetzliche Rentensystem (vgl. S. 189). Auch eine Stärkung der privaten Vorsorge sei unumgänglich (vgl. S. 191 ff.). Fratzscher sieht zudem eine Umverteilung von Arm zu Reich im Rentensystem und kritisiert aus diesem Grund beispielsweise die Rente mit 63 (vgl. S. 189 f.).
Weitere Vorschläge von Fratzscher betreffen den Umbau zu einem aktivierenden Sozialstaat (S. 144 ff.) sowie mehr Solidarität gegenüber Geflüchteten, was im wirtschaftlichen Interesse von uns allen liegen würde (S. 150 ff.). Er spricht sich außerdem für eine Reform des Steuersystems aus (S. 153 ff.).
Neben den finanziellen Aspekten setzt sich Fratzscher für eine soziale Pflichtzeit für Babyboomer ein (S. 169 ff.). Er begründet dies damit, dass „es […] vielmehr die Alten [sind], die ihrer eigenen Verantwortung gegenüber den jungen und künftigen Generationen gerechter werden müssen“ (S. 170). Fratzscher kritisiert, dass sich die Babyboomer „[…] im Glanz ihrer wirtschaftlichen Erfolge gesonnt und dabei vergessen haben, Kinder zu bekommen, in eine gute Infrastruktur und Qualität bei Kitas und Schulen zu investieren und sich um eine menschenwürdige Zuwanderung zu kümmern“ (S. 171 f.). Vorteile eines solchen Modells sieht Fratzscher vor allem in der Signalwirkung, aber auch in ökonomischer Hinsicht (vgl. S. 170).
Zudem setzt sich Fratzscher am Ende des Buches für eine Stärkung der Demokratie ein (S. 198 ff.). Er sei nach wie vor überzeugt, dass „eine funktionierende Demokratie und ein funktionierender Kapitalismus […] die besten Voraussetzungen für Wohlstand, Gerechtigkeit und die Lösung der gegenwärtigen Krisen [bleiben]“ (S. 211).
Fazit
Marcel Fratzscher gelingt es in seinem Buch „Nach uns die Zukunft“ auf all die Probleme einzugehen, die durch generationenungerechte Politik entstehen. Durch die drei Teile – Recht auf selbstbestimmtes Leben, Recht auf einen lebenswerten Planeten und Recht auf Solidarität und Frieden – zeigt er auf, welche Ziele unsere Gesellschaft für eine lebenswerte Zukunft der jungen und zukünftigen Generationen verfolgen sollte und wo Handlungsbedarf besteht.
Letztlich sind Fratzschers Analyse der Gegenwart und seine Reformvorschläge ein Plädoyer für einen neuen Generationenvertrag, der das Verhältnis zwischen den Generationen auf eine stabile Grundlage stellt. Denn dadurch entstehen gemäß dem Untertitel des Buches „Freiheit, Sicherheit und Chancen“.
Hervorzuheben ist auch, dass Fratzscher trotz der harten Analyse ein optimistisches Fazit zieht:
„Ein neuer Generationenvertrag ist möglich“ (S. 20). Für alle, die Argumente für einen solchen Generationenvertrag suchen oder sich fragen, ob das neue Rentenpaket wirklich die beste Lösung für unsere Probleme ist, gehört dieses Buch zur Pflichtlektüre.
Bibliographische Angaben: Fratzscher, Marcel (2025): Nach uns die Zukunft – Ein neuer Generationenvertrag für Freiheit, Sicherheit und Chancen. Berlin: Berlin Verlag. 224 Pages. ISBN 3827015278. Preis: 22€. (Alle Seitenangaben im Text beziehen sich auf dieses Werk.)



