Parteien und Parlamente brauchen eine Quote für die Jungen. Ein Gastbeitrag von Martin Speer und Vincent-Immanuel Herrr, Stiftung Generationengerechtigkeit, in DIE ZEIT Nr. 13/2015

Klimawandel, Migrationsströme, demografischer Wandel, Sicherheit und Digitales – wie mit all diesen teils schwer überschaubaren Themen umgehen, wie sie richtig gestalten? Antworten auf diese Frage zu finden ist ein generationenübergreifendes Projekt, Alt und Jung müssen ihr Wissen und ihre Ideen gleichermaßen einbringen können. Das ist in Deutschland aber nicht der Fall. Hier sind die Jungen im politischen Raum völlig unterrepräsentiert. Deshalb fordern wir eine Jugendquote!

Nur 31 der 631 der Abgeordneten im Bundestag sind unter 35 Jahren alt. Das sind 4,9 Prozent, ihr Anteil an der Bevölkerung beträgt aber 35 Prozent. Die Altersgruppe der 45- bis 65-Jährigen stellt mit 418 Mitgliedern hingegen 66 Prozent aller Abgeordneten, aber nur 31 Prozent der Bevölkerung. Das bedeutet also: „Ü-45er“ bestimmen die politische Agenda der gesamten Gesellschaft.

Dass so wenige junge Leute in der Politik tätig sind, hat auch mit dem fehlenden Vertrauen der Älteren in die Jugend zu tun. In der politischen Sphäre existiert eine gläserne Altersdecke, die uns Junge ausbremst. Ähnliche Erfahrungen haben übrigens Frauen in der Wirtschaftswelt gemacht. Für sie gibt es jetzt eine Quote – zu Recht, denn mit 17,7 Millionen stellen sie einen großen Teil der Erwerbstätigen. Wir Jungen stellen sogar zu 100 Prozent diejenigen, deren Zukunft von den heute getroffenen politischen Entscheidungen bestimmt wird. „Lasst uns mal machen“ – viele von uns kennen diesen Satz nur allzu gut. Er bedeutet: Ihr seid zu unerfahren, zu naiv oder zu idealistisch.

Tatsächlich schauen wir Jungen anders auf die Welt. Für uns ist die Globalisierung keine unheilvolle Entwicklung, sondern ein Feld der Möglichkeiten; die Digitalisierung kein Neuland, wie die Bundeskanzlerin es mal formulierte, sondern Realität; und Europa kein Trauerspiel, sondern unsere geliebte Heimat. Wir denken, handeln und arbeiten so vernetzt und flexibel, wie die Welt es erfordert, in der wir groß geworden sind und die uns geprägt hat. In manchen Dingen sind wir den Älteren eben doch voraus, und davon könnten alle profitieren – wenn man uns denn mitmachen ließe.

Die aktuelle Politik und ihre Akteure legen einen klaren Fokus auf kurzfristige Themen, auf die Rente mit 63 zum Beispiel, die in der Gegenwart Wählerstimmen bringt, in der Zukunft aber die Altersvorsorge für uns Jüngere noch schwieriger macht. Dieses Problem ist im System angelegt: durch regelmäßige Wahlen auf regionaler, Landes- und Bundesebene werden Parteien dazu ermutigt, sich bevorzugt um jene Fragen zu kümmern, die eine baldige Wiederwahl garantieren, also schnelle und konkrete Resultate erzeugen. Sie sind Getriebene der kurzen Legislaturperiode und des stetigen Erfolgsdrucks. Dabei bleibt keine Zeit, sich mit Ansätzen zu beschäftigen, die erst in mehreren Jahren oder sogar Jahrzehnten Früchte tragen werden.

Jüngere Menschen könnten zu einer ausgeglicheneren Politik beitragen und helfen, einen Dialog zwischen den Generationen zu führen. Aus diesem Grund plädieren wir für eine Jugendquote innerhalb der Parteien ebenso wie in den Parlamenten auf Landes- und auf Bundesebene. Um es konkret zu machen: Bei der Listenaufstellung der Parteien sollten mindestens 20 Prozent der Kandidaten auf den vorderen Plätzen unter 35 Jahre alt sein. Es wäre eine Erfrischungskur für die Parlamente.

Wir würden sogar noch weiter gehen. Da grundlegende politische Entscheidungen in den Ausschüssen und an den Kabinettstischen der Bundes- und Landesregierungen getroffen werden, braucht es auch hier die Quote. Das hieße in der Konsequenz, dass drei Bundesminister unter 35 sein müssten.

Die Jugendquote ermöglicht nicht nur einen Interessenausgleich zwischen den Generationen, sie würde auch unkonventionelle Ideen fördern. Und die brauchen wir dringend. Die Alleinherrschaft der Älteren jedenfalls hat nicht die großen übergreifenden Lösungen gebracht: Der europäische Zusammenhalt und Frieden steht auf der Kippe, die soziale und materielle Ungleichheit spaltet ganze Gesellschaften, der Nationalismus und Fanatismus erlebt eine Renaissance. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Erfahrung und persönliche Reife sind offenbar keine Garanten für eine gute Politik.

Zudem bietet die Jugendquote die Chance, die Gesellschaft als Ganzes widerstandsfähiger zu machen. Eines der großen Probleme unserer Zeit ist doch, dass junge Menschen nicht mehr daran glauben, politische Entwicklungen beeinflussen zu können. Wenn man der Studie Junge Deutsche 2015, für die mehr als 5.000 junge Menschen befragt wurden, Glauben schenkt, dann bewerten noch weniger als 15 Prozent der 14- bis 34-Jährigen ihren Einfluss auf Länder- oder Bundesebene als mittel oder hoch. Der Rest sieht für sich kaum oder keine Teilhabe- und Einflussmöglichkeiten. Das ist fatal.

„Nichts schadet einem jungen Menschen mehr als das Gefühl, keinen Platz zu finden, nicht gebraucht zu werden und von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein“, hat der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesagt. Die Jugendquote könnte helfen, diesem Gefühl entgegenzuwirken und jungen Menschen zu zeigen, dass ihre Stimme gehört und ernst genommen wird.

Fakt ist, jede Generation hat eine unterschiedliche Sicht auf das Leben. Diese Heterogenität kann zu Spannung und Streit führen. Aber nur durch Reibung entsteht Neues, das das Leben für alle besser machen kann.